Bundeskanzler Olaf Scholz verliert die Vertrauensfrage wie geplant. Der Weg zu Neuwahlen ist frei. Schön wird der Wahlkampf nicht. Das zeigte die harte Debatte im Bundestag sehr deutlich.
Der deutsche Wahlkampf bis zum 23. Februar wird ungemütlich. Alle Beteiligten scheinen bereit, einander im Gestus moralischer Entrüstung das jeweils Schlechteste zu unterstellen. Darauf gab die Debatte zur Vertrauensfrage einen Vorgeschmack, die Bundeskanzler Olaf Scholz, wie geplant, mit 207 zu 394 Stimmen verloren hat (bei 116 Enthaltungen), um den Weg für Neuwahlen zu öffnen.
Als erster Redner setzte Scholz den Ton. Er sprach seinem ehemaligen Finanzminister Christian Lindner von den Freien Demokraten die «sittliche Reife» ab, die nötig sei, um Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Politik sei kein Spiel, sagte Scholz. Er warf der FDP die «Sabotage» der Dreierkoalition mit Sozialdemokraten und Grünen vor und beklagte den «Schaden für die Demokratie», den die FDP angerichtet habe, indem sie schon vor dem Bruch Szenarien für einen Koalitionsausstieg formuliert hatte.
«Anstand» und «Ehrenhaftigkeit» verortete Scholz hingegen in seiner eigenen Partei. Wer seiner Strategie «starker und kraftvoller Investitionen» und einer entsprechenden Lockerung der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse nicht zustimme, der sei «kleinkrämerisch und verzagt».
Ein rhetorisches Motiv, das bei Scholz schon in den vergangenen Wochen auftauchte, scheint nun fest zum Repertoire zu gehören: Er unterstellte seinen politischen Gegnern, sie wollten Ukrainehilfen und die Modernisierung der Bundeswehr «ausspielen» gegen Investitionen in Infrastruktur und Sozialausgaben. Dagegen verspricht er, dieses «Ausspielen» werde es mit ihm nicht geben. Scholz plädierte explizit für eine Erhöhung der deutschen Staatsverschuldung; alles andere sei «Wirklichkeitsverweigerung».
«Froschschenkel, Wachteleier und Wintertrüffel»
Wie schon im Wahlkampf 2021 forderte Scholz «Respekt» – «und zwar nicht nur für diejenigen, die 200 000 Euro im Jahr verdienen, sondern auch für die, die jeden Tag hart zum Mindestlohn arbeiten». Scholz schloss «Rentenkürzungen» aus und verteidigte seinen Plan, den ermässigten Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent zu senken. Ausserdem liess er erkennen, dass es vor allem seiner «Besonnenheit» zu verdanken sei, wenn Deutschland nicht in kriegerische Auseinandersetzungen mit der «hochgerüsteten Atommacht Russland» verwickelt werde. Weder wolle er der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefern noch deutsche Soldaten dort stationieren.
Der Oppositionsführer und Kanzlerkandidat von CDU/CSU, Friedrich Merz, sprach Scholz genau jenen «Respekt» für die politischen Konkurrenten ab, den er beständig einfordere: «Der Respekt hört bei Ihnen immer da auf, wo es andere politische Meinungen gibt als die Ihre», sagte Merz. Er nannte Scholz’ Ausführungen eine «blanke Unverschämtheit». Und wies darauf hin, dass Sozialdemokraten seit 1998 über 22 Jahre an den unterschiedlichen Bundesregierungen beteiligt gewesen seien, jetzt also schwerlich alle Missstände den Christlichdemokraten anlasten könnten.
Merz nahm die FDP in Schutz: Der Kanzler habe es schlicht nicht geschafft, seine Koalition zusammenzuhalten. Mit der SPD werde es Steuererhöhungen geben, neue Schulden und mehr Umverteilung, sagte Merz – und wies sarkastisch darauf hin, dass durch die geplante Mehrwertsteuersenkung nicht nur Butter billiger werde, sondern auch «Froschschenkel, Wachteleier und Wintertrüffel».
Merz wandte sich auch gegen den grünen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck, der seine Partei als Spitzenkandidat in die Wahl führt. Bei allen «selbstinszenierten Selbstzweifeln» Habecks vermisse er bei dem Grünen jede Überlegung zu Wettbewerbsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft.
Es gebe zwar sehr viele, die in Deutschland hart arbeiteten, sagte Merz; trotzdem sei die Arbeitszeit in Deutschland, zum Beispiel verglichen mit der Schweiz, zu niedrig. «Steuersenkungen sind notwendig für die Wirtschaft», sagte Merz, «aber sie müssen erst erarbeitet werden». Rentenkürzungen schloss er aus. Das künftige Renteneintrittsalter bleibe bei 67 Jahren, die CDU/CSU plane allerdings Anreize für Menschen, die gern länger arbeiten wollten. Die Sozialhilfe für die 1,7 Millionen Erwerbsfähigen, die sie bezögen, werde gekürzt.
«Wählt mich, und Ihr bekommt eine neue Wirklichkeit!»
Der grüne Kanzlerkandidat Habeck zeigte sich sehr darum bemüht, die Kompromissbereitschaft der Grünen in der gescheiterten Dreierkoalition herauszustellen: «Wir haben alles getan, damit diese Regierung besteht», sagte er. Er warnte vor dem Irrtum zu glauben, nach einer Neuwahl werde die Regierungsbildung unkomplizierter. «Niemand bekommt eine absolute Mehrheit. Alle Akteure müssen über den eigenen Schatten springen.»
Sehr hart ging Habeck mit der Energiepolitik früherer Koalitionen unter der Führung der Christlichdemokratin Angela Merkel ins Gericht: «Sie haben die deutsche Energie-Infrastruktur an Gazprom und Rosneft verkauft», rief er und sprach von einer schweren Fehleinschätzung. Merz hänge offenbar der Vorstellung an «Wählt mich, und ihr bekommt eine neue Wirklichkeit.» Das werde nicht klappen.
FDP-Chef Christian Lindner versuchte seine Partei gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie trage ganz allein die Schuld am Zerbrechen der Koalition. «Sie haben die Strukturkrise der deutschen Wirtschaft lange geleugnet», sagte er an Scholz’ Adresse gewandt: «Sie haben eine wachstumsorientierte Neuausrichtung der Politik verweigert. Sie haben kein Vertrauen mehr verdient.» Die SPD stehe für «Verteilungspolitik auf Pump», sagte Lindner, doch was Deutschland brauche, sei ein erarbeiteter Aufschwung. «Der Versuch, mit Neid Politik zu machen, wird nichts fruchten».