Acht Tage nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad beschäftigt die Lage in Syrien die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten.
Bei ihrem heutigen Treffen in Brüssel wollen die Chefdiplomaten darüber diskutieren, wie die Europäische Union zur Stabilisierung des Landes beitragen kann. Dazu gehört auch, die Rückkehr der vielen in Europa lebenden Flüchtlinge aus Syrien zu erleichtern.
Nach Angaben der EU hatte sie bis vor Kurzem keinen Kontakt zur islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Sham (HTS). Diese Gruppe stand an der Spitze der Rebellenallianz, die Assad stürzte. Die Gruppe und die mit ihr verbundenen Personen stehen weiterhin auf der Terrorliste der Vereinten Nationen und unterliegen EU-Sanktionen.
Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte kürzlich, es gebe berechtigte Bedenken hinsichtlich der Risiken konfessioneller Gewalt, des Wiederauflebens des Extremismus und eines Regierungsvakuums. Der frühere estnische Regierungschef wird erstmals den Vorsitz bei den Beratungen übernehmen.
Rebellenführer verspricht, alle Milizen zu entwaffnen
Der Vorsitzende der HTS, Ahmed al-Sharaa, versprach eine Maßnahme, die zur Stabilisierung des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes beitragen könnte. Nach Angaben des oppositionellen Fernsehsenders Syria TV sagte er, dass alle bewaffneten Gruppen und Milizen entwaffnet würden. Der Wiederaufbau und die Bereitstellung von Wohnraum für Menschen in Flüchtlingslagern hätten nun Vorrang.
Auch Al-Sharaa, der bis vor Kurzem seinen Kampfnamen Mohammed al-Julani trug, wandte sich an seine ins Ausland geflohenen Landsleute. „Ich lade sie alle ein, nach Hause zu kommen, damit wir Syrien richtig wieder aufbauen und von den Erfahrungen profitieren können, die sie im Ausland gesammelt haben“, zitierte ihn Syria TV.
Ergreift Israel den Golan?
Israel nutzte das Machtvakuum nach dem Sturz Assads, um seine Truppen über die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen vorzurücken. Die Führung in Jerusalem begründet dies damit, dass bewaffnete israelfeindliche Gruppen daran gehindert werden sollten, den jüdischen Staat vom Hochplateau aus anzugreifen.
Das Gebiet diesseits der Waffenstillstandslinie, das bis zum See Genezareth reicht, wurde 1967 im Sechstagekrieg von Israel erobert und 1981 einseitig annektiert. Nach internationalem Recht gehört es zumindest zu Syrien ist die Ansicht der meisten Staaten, auch Deutschlands. Allerdings genehmigte die israelische Regierung am Sonntag einen Plan, umgerechnet mehr als zehn Millionen Euro in die besetzten Golanhöhen zu investieren.
Der Plan von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ziele darauf ab, die Bevölkerung dort zu verdoppeln, teilte sein Büro mit. Derzeit leben mehr als 50.000 Menschen auf dem Felsplateau, etwas mehr als die Hälfte davon jüdische Israelis und der Rest Drusen und Alawiten. Hintergrund der Entscheidung sei der Krieg und die „neue Front“ mit Syrien, heißt es in der Erklärung.
Arabische Länder verurteilen den israelischen Schritt
Saudi-Arabien verurteilte die Entscheidung Israels, die Siedlung auf den Golanhöhen auszuweiten. Das arabische Königreich sprach von einem Verstoß gegen das Völkerrecht und forderte die internationale Gemeinschaft auf, das Vorgehen Israels nicht zu dulden. In der Erklärung der Außenministerien in der Hauptstadt Riad heißt es außerdem, dass es sich bei den Golanhöhen um besetztes arabisches und syrisches Land handele. Auch das Golfemirat Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verurteilten die israelische Entscheidung in Erklärungen ihrer Außenministerien.
Netanjahu spricht mit Trump: kein Interesse an Konflikt
Währenddessen bekräftigte der israelische Ministerpräsident in einem Telefongespräch mit dem gewählten US-Präsidenten Donald Trump über die Lage in Syrien seine friedlichen Absichten. „Wir haben kein Interesse an einem Konflikt mit Syrien“, sagte Netanjahu laut einer Erklärung. Israels Vorgehensweise würde sich an den Umständen vor Ort orientieren. Syrien sei jahrzehntelang ein „aktiver Feindstaat“ gewesen und habe Israel immer wieder angegriffen.
Das vom Bürgerkrieg zerrissene Land hat auch anderen erlaubt, Israel von seinem Territorium aus anzugreifen. Syrien hat dem Iran außerdem erlaubt, die schiitische Miliz Hisbollah im Libanon von seinem Territorium aus zu bewaffnen. „Um sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert, haben wir in den letzten Tagen eine Reihe intensiver Maßnahmen ergriffen“, sagte Netanjahu und verwies auch auf die Bombardierung strategischer Militäreinrichtungen im Nachbarland.
Kiew will mit Lebensmitteln helfen
Unterdessen sei die Ukraine nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selensky bereit, humanitäre Hilfe für Syrien zu leisten. In Absprache mit seiner Regierung sei über Nahrungsmittelhilfen aus dem Programm „Getreide aus der Ukraine“ gesprochen worden, um der syrischen Bevölkerung zu helfen, sagte Selensky in seiner abendlichen Videoansprache. Konkret muss nun die Logistik mit syrischen Vertretern besprochen werden. „Wir werden diese Region auf jeden Fall unterstützen, damit die Ruhe dort zu einer Stütze unserer Bewegung hin zu echtem Frieden werden kann.“
Das 2022 gestartete humanitäre Programm sieht vor, dass Geberstaaten und andere Organisationen Agrarprodukte direkt von ukrainischen Produzenten kaufen und in Länder am Rande einer Hungersnot schicken – insbesondere in Afrika und Asien.
Viele Tote nach israelischem Angriff in Gaza
Nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Zivilschutzes sind bei einem israelischen Angriff auf eine ehemalige Schule im nördlichen Gazastreifen mindestens 40 Menschen getötet worden. Das Gebäude in der Stadt Beit Hanun habe als Unterkunft für Kriegsvertriebene gedient, sagte ein Sprecher. Viele der Opfer wurden verbrannt. Die Angaben konnten nicht unabhängig verifiziert werden.
Das israelische Militär gab auf seinem Telegram-Kanal bekannt, dass es eine Versammlung von Hamas-Kämpfern in Beit Hanun ins Visier genommen habe. Dutzende Terroristen seien aus der Luft und bei Bodeneinsätzen getötet worden. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig verifiziert werden.
Der Gaza-Krieg wurde durch das Massaker an palästinensischen Terroristen aus der Küstenregion Israels am 7. Oktober letzten Jahres ausgelöst, bei dem 1.200 Menschen starben und etwa 250 Menschen vermisst wurden. Seitdem kämpft Israel im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas, wo nach am Sonntag veröffentlichten palästinensischen Zahlen bisher 44.976 Menschen getötet wurden. Die Zahlen unterscheiden jedoch nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
Israel will alle Geiseln zurückholen
Bei Netanjahus Gesprächen mit Trump ging es auch um Bemühungen, die Freilassung israelischer Geiseln zu erreichen, die noch immer von der islamistischen Hamas festgehalten werden. „Wir werden weiterhin unermüdlich daran arbeiten, sicherzustellen, dass alle unsere Geiseln, lebende und verstorbene, nach Hause zurückkehren“, betonte der israelische Premierminister. Israelischen Quellen zufolge befinden sich immer noch rund 100 Geiseln – darunter auch Leichen – in Gewahrsam der Hamas.