Udo Jürgens, einer der bekanntesten deutschsprachigen Entertainer, hat über 1000 Songs geschrieben und sich in die Herzen eines Millionen-Publikums gesungen. Vor zehn Jahren ist er verstummt. Drei Monate vor seinem plötzlichen Tod im Jahr 2014 hat SRF das letzte grosse Interview mit dem Wahlschweizer geführt.
SRF: Wie geht es einem, wenn man 80 Jahre alt wird?
Udo Jürgens: Ich fühle mich gut, sonst könnte ich jetzt nicht hier sitzen. Es ist im Augenblick eine Spur zu viel, was im Jahr meines runden Geburtstags alles auf mich einstürzt. Die Tatsache, dass ich der bin, der ich bin, lässt mich mein Alter ganz anders erleben. Einerseits die unerhörte Anerkennung und Zuneigung, die ich natürlich geniesse, andererseits erwartet man viel von mir. Ich muss immer noch viel geben und tun. Das ist manchmal etwas grenzwertig.
Bemerkt man einen Unterschied, ob man 80 oder 70 wird?
Es mag sein, dass mit 70 die Ängste grösser waren als jetzt. Ich habe zehn Jahre Zeit gehabt, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich jetzt alt werde. Ich habe mich aber auch darüber gewundert, mit welch klarem Verstand ich diese Dinge noch erkennen und sehen kann und wie meine Stimme beim Singen noch funktioniert. Sie ist mindestens so gut wie vor zwanzig Jahren. Das ist entscheidend und erleichtert mir mein Leben sehr.
Welchen Bezug haben Sie zum Wort «noch»?
Das allerschlimmste «noch» ist, wenn es heisst: Mensch, der sieht noch gut aus – für sein Alter. Erst freut man sich über den ersten Teil des Satzes und dann bricht man ein bisschen in sich zusammen. Es ist ein schwieriges Wort.
Wie gehen Sie mit dem Thema Tod um? Ist es ihnen gleichgültig, weil er sowieso kommt, oder haben Sie Angst? Oder sind Sie gar optimistisch?
Ich versuche Antworten zu finden, so wie andere 80-Jährige auch. Wir haben über diese Dinge in unserer Kultur nie etwas gelernt. Altsein ist immer als Krankheit empfunden worden von der Gesellschaft. Altsein zeigt man nicht, man hat gefälligst jung zu sein und nicht zu stören. Aus dem Grund ist es schwierig, diese Fragen zu beantworten.
Ihre Tour und Ihre CD heissen «Mitten im Leben». Fühlen Sie sich so oder wünschten Sie, es wäre so?
Ich lebe so, und ich denke so. Ich kann noch Dinge tun, die ich früher getan habe – mit der gleichen Kraft und Energie: Singen und Auftreten. Wenn ich meinen Bruder in Kärnten auf dem Bauernhof besuche, dann sitze ich oft neben einem Bauern, der sein gelebtes Leben mit ganz anderen Augen sieht als ich. Der kommt nicht in der Welt herum. Aber der ist mit sich im Reinen.
Es ist spannend, wenn man als älterer Mensch noch in der Liga derer ist, die Feuer im Kopf haben.
Ich bin mit mir nicht im Reinen, weil ich ein ganz anderes Leben lebe. Glauben Sie, dass ein Mensch, der bis ins hohe Alter Bücher schreibt und einen Sturm im Gehirn hat, um Sätze zu schreiben, die hinterher Millionen Menschen fassungslos oder begeistert lesen – dass so ein Mensch in Ruhe lebt? In Ruhe lebt der Bauer oder der Fischer, der am Abend sein Tagwerk gemacht hat und weiss, was gut oder was schlecht war. Es ist spannend, wenn man als älterer Mensch noch in der Liga derer ist, die Feuer im Kopf haben. Aber das ist kein ruhiges Leben.
Udo Jürgens im TV und auf Play SRF
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Tribute-Show «Udo Jürgens Forever»
Zum 90. Geburtstag und 10. Todestag von Udo Jürgens interpretieren Stars wie Conchita Wurst, Wencke Myrhe, Adel Tawil, Vanessa Mai und Howard Carpendale Evergreens wie «Griechischer Wein» oder «Ich war noch niemals in New York». Moderiert wird die Tribute-Show von Sasha und Michelle Hunziker.
Mit dem Original-Orchester von Udo Jürgens unter der Leitung seines langjährigen Bandleaders Pepe Lienhard und in Anwesenheit von Udo Jürgens’ Kindern Jenny und John präsentiert die ARD in Zusammenarbeit mit ORF und SRF die Tribute-Show «Udo Jürgens Forever» am
Montag, 23.12.2024 um 20:05 Uhr auf SRF 1.
«UDO!» – die Dokumentation
Udo Jürgens und der lange Weg zu sich selbst – «UDO!» zeichnet das packende Psychogramm des Musikgenies, das sein Leben der Bühne und dem Applaus verschrieb.
Seine Kinder und engsten Freunde erzählen von der atemberaubenden Karriere, der Rastlosigkeit und den Schattenseiten des Jahrhundertmusikers am
Montag, 23.12.2024 um 22.55 Uhr auf SRF 1.
Wünschen Sie sich, dass sie diese Ruhe auch irgendwann finden können?
Das Schöne ist, man wünscht sich Ruhe, und man wünscht sich auch die Unruhe des Herzens und des Verstandes. Im Wissen darum, dass man beides nicht kriegen kann. Die kreative Kraft wird nur in diesem Spannungsfeld geboren. Auch wenn ich den Preis zahle, nicht so entspannt zu sein, wie der Bauer vor dem Haus und der Fischer, wenn er heimkommt.
Das Gespräch führte Stefan Siegenthaler.