Das Teilen einer Mahlzeit, auch Kommensalität genannt, wird von der Ernährungswissenschaft und der öffentlichen Gesundheitspolitik häufig als Mittel zur Vorbeugung ernährungsbedingter Krankheiten wie Fettleibigkeit oder als Hebel zur Verbesserung der psychischen Gesundheit und des sozialen Umfelds der Gäste dargestellt. Regelmäßiges gemeinsames Essen als Familie und noch mehr gemeinsames Essen in geselliger Atmosphäre wäre daher das Allheilmittel für aktuelle Gesundheits- und Sozialfragen. Doch diese vermeintlichen Vorteile sind nicht eindeutig belegt und wir wissen nicht wirklich, was an einem gemeinsamen Essen von Vorteil wäre.
Obwohl die Aufmerksamkeit für die Atmosphäre von Familienmahlzeiten zunimmt, wissen wir wenig über die Art und Weise, wie sich Geselligkeit auswirkt, und über die Auswirkungen dieser Vorschrift auf Mütter, die in erster Linie für die häusliche Ernährungsarbeit verantwortlich sind.
Zwischen 2020 und 2023 führten wir eine soziologische Umfrage durch, die auf rund hundert Stunden Beobachtung von Familienmahlzeiten in 14 Haushalten mit unterschiedlicher sozioökonomischer Stellung in Frankreich und Australien sowie auf Interviews mit den beobachteten Eltern basierte. Dies zeigt das Ausmaß des Emotionsmanagements, das den täglichen Mahlzeiten in der Familie zugrunde liegt. Unter Mahlzeiten versteht man nicht nur den Teller, sondern auch einen relationalen Ansatz. Die Ergebnisse zeigen, dass Geselligkeit einen Preis hat: unsichtbare emotionale Arbeit.
Das soziologische Konzept der „emotionalen Arbeit“
Das Konzept der „emotionalen Arbeit“, das in den 1980er Jahren von der amerikanischen Soziologin Arlie R. Hochschild theoretisiert wurde, ist zunehmend bekannt, wird aber noch immer kaum verstanden. Unter „emotionaler Arbeit“ versteht man die Steuerung der eigenen Emotionen, um in einer gegebenen Situation einem geforderten Zustand zu entsprechen. Es bedeutet auch, an Ihren Emotionen zu arbeiten, um den emotionalen Zustand anderer zu beeinflussen. Was der emotionalen Arbeit zugrunde liegt, sind vorherrschende soziale Normen in Bezug auf Erziehung, Familie und Ernährungspraktiken, die bestimmen, was man unter bestimmten Umständen fühlen „sollte“ und wie. Diese werden laut Hochschild als „Gefühlsregeln“ bezeichnet. Die Arbeit an Emotionen kann ein Versuch sein, bei sich selbst oder einer anderen Person eine zunächst nicht vorhandene Emotion zu provozieren oder eine empfundene Emotion abzuschwächen oder zu verbergen. Auch emotionale Arbeit kann vermieden werden, beispielsweise wenn emotionale Ressourcen fehlen.
Jenseits des Tellers: Umgang mit Emotionen am Tisch
Tischmanieren regeln längst die Art und Weise, wie wir gemeinsam essen. Die „Gefühlsregeln“ bilden nun einen zusätzlichen Bezugsrahmen für die Kommensalität. Am Tisch wird oft erwartet, dass man gemeinsam spielt, um Feindseligkeit, Isolation und Unzufriedenheit zu vermeiden und Freude, Zuneigung oder Humor zu fördern. Es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass sich Emotionen kontrolliert manifestieren: Man kann am Tisch glücklich, aber nicht überdreht sein.
Weit entfernt vom idealisierten Bild eines Familienessens basiert die Geselligkeit auf einem fragilen Gleichgewicht der Emotionen, das ständig reguliert werden muss. Hier kommt emotionale Arbeit ins Spiel.
Die Mitglieder der im Rahmen der Befragung beobachteten Familien verbringen den größten Teil ihrer Zeit getrennt (Arbeit, Schule, außerschulische Aktivitäten usw.). Neben der Notwendigkeit, die Familie zu ernähren und die Kinder an eine bestimmte Ernährungsweise zu gewöhnen, sind gemeinsame Mahlzeiten eine Gelegenheit, als Familie zusammenzukommen, über den Tag zu sprechen, zu überprüfen, ob es den Kindern gut geht, und einfach nur das Sein zusammen. Es ist auch eine Gelegenheit, gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen, denn auch das macht heute „Familie“ aus.
Emotionale Arbeit kann viele Formen annehmen, wie z. B. die Zurechtweisung streitender Geschwister, aber ruhig, mit einem beruhigenden Tonfall; Ermutigen Sie die Kinder, ihr Gemüse zu essen, aber mit Humor oder Zuneigung; Achten Sie nicht zu sehr auf die Ablehnung bestimmter Gemüsesorten durch ein Kind und ermutigen Sie es gleichzeitig zum Essen. Nehmen Sie es auf sich, ruhig zu bleiben, lebendiger zu werden und fröhlicher oder energischer zu wirken, als Sie wirklich sind. Tatsächlich handelt es sich dabei eher um eine Anstrengung, dieses Ideal anzustreben, als um einen wirklichen Erfolg, denn die gesellschaftlichen Existenzbedingungen verhindern oft seine vollständige Verwirklichung. Diese Kluft zwischen vorherrschenden Normen und der Realität belastet Eltern, insbesondere Mütter, schwer.
Das Genre der emotionalen Arbeit
Neben der häuslichen Ernährungsarbeit auch die Kondition unabdingbare Voraussetzung Bei gemeinsamen Mahlzeiten erfordert die Herstellung von Geselligkeit einen erheblichen Aufwand am Tisch, der unsichtbar und je nach Geschlecht ungleich auf die Eltern verteilt ist. Obwohl die Zeit, die Frauen mit dem Kochen verbringen, zurückgegangen ist, ist die geschlechtsspezifische Verteilung der häuslichen Lebensmittelarbeit nach wie vor sehr ungleich: Frauen verbringen 34 Minuten mehr pro Tag als Männer mit der häuslichen Lebensmittelarbeit. Auch wenn die Väter stärker mitmachen, tragen die Mütter im Allgemeinen die mentale und emotionale Belastung, was diese Arbeit für sie intensiviert.
Mütter und Väter in den befragten Familien üben unterschiedlich emotionale Arbeit aus. Mütter übernehmen einen großen Teil der Emotionsbewältigung am Tisch, obwohl dies kaum sichtbar ist: Es liegt in der Natur emotionaler Arbeit, unbemerkt zu bleiben, wie eine erfolgreiche Schauspielleistung. Die emotionale Arbeit der Mütter zielt darauf ab, eine harmonische Atmosphäre zu schaffen und Spannungen und Konflikte zu mildern. Dies geschieht oft durch die Demonstration von Zuneigung, verbunden mit der zentralen Rolle emotionaler Normen und des Wohlbefindens beim Aufbau der Familie und der Betreuung der Kinder.
Väter hingegen übernehmen den sichtbareren Teil des Eisbergs emotionaler Arbeit durch Sozialisierung durch Humor, zum Beispiel indem sie ein Kind wegen seiner Tischmanieren aufziehen. Andererseits wirken sie autoritärer, neigen dazu, wütend zu werden und intensive Emotionen (positiv oder negativ) hervorzurufen, was manchmal die zugrunde liegende emotionale Arbeit der Mütter untergräbt.
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Benutzerfreundlichkeit und fehlende Ressourcen
Die Aufforderung zur Geselligkeit am Tisch hat je nach den Möglichkeiten der Familie nicht die gleichen Auswirkungen auf die Gäste und das Essen. Wenn eine Reihe von Ressourcen (wirtschaftlich, kulturell, zeitlich, emotional usw.) fehlen, befinden sich Eltern in einer Situation, in der es schwierig ist, ihre Kinder anders als durch Essen zufrieden zu stellen. Der Beweis der elterlichen Liebe und der Fürsorge für die Kinder kristallisiert sich dann in der Geselligkeit heraus, indem Menüs serviert werden, die den Kindern leichter gefallen, aber oft weniger ausgewogen sind. Dies ermutigt uns, die manchmal moralisierenden Reden an Eltern, die sich nicht an die vorherrschenden Verhaltens- und Ernährungsstandards halten, zu relativieren.
Ein weiterer Blick darauf, was „gut essen“ bedeutet
Während die psychische Belastung durch Hausarbeit zunehmend anerkannt wird, bereichert die Berücksichtigung der emotionalen Belastung, die mit Familienmahlzeiten einhergeht, unser Verständnis davon, was es heute bedeutet, die Familie zu ernähren und sich „gut zu ernähren“, insbesondere im Hinblick auf sozioökonomische und geschlechtsspezifische Ungleichheiten. Qualitative soziologische Untersuchungen zeigen auch, inwieweit die häusliche Ernährungsarbeit für Mütter schwerer geworden ist und dass sich die Rolle der Mutter ganz allgemein stark intensiviert hat.