„Zwischen den Jahren“ werden die Tage zwischen Heiligabend und Neujahr gerne genannt: Deutschland versinkt knöcheltief in Geschenkpapier, füllt sich den Bauch mit Gänsebraten und Glühwein und erfreut sich am Glanz von Kerzenlicht und Kinderaugen.
Anschläge und Ampelchaos, Kriege und Krisen – für diese kurze Zeit dringen die Schrecklichkeiten dieser Welt nur noch wie gedimmt ins Bewusstsein. Deutschland gönnt sich eine kleine Verschnaufpause.
„Helene Fischer Show“ ist mediale Rolltreppe in Eskapismus
Mit dem Zweiten verdrängt es sich besser: „Die Helene Fischer Show“ am ersten Weihnachtsfeiertag ist so etwas wie die mediale Rolltreppe in den kollektiven Eskapismus.
185 durchgestylte Minuten mit Helene und anderen Helden des Schlager-Kosmos suggerieren eine alternative Realität, in dem Schlagerkönigin Helene Fischer das Sagen hat und alle Herzen im Takt der Rhythmusmaschine klopfen.
„Heute brauch ich mal die Flucht in eine heile Welt, deshalb jetzt die #HeleneFischerShow“, heißt es folgerichtig auf X. „Bis mich die grausame Realität in diesem Land wieder einholt.“
Marzipankartoffeln in den Ohren
Mit „ein bisschen Barbie, ein bisschen ESC, ein bisschen Moulin Rouge, ein bisschen Comedyshow und ganz viel Helene Fischer“ hatte das ZDF selbst das Show-Highlight der Feiertage angekündigt und versprochen, dass es 2024 „abwechslungsreicher denn je“ zugehen werde.
Dann steht aber doch wieder viel Erwartbares am Mikrofon: Giovanni Zarrella, Maite Kelly, Nino de Angelo. Die diesjährige HFS-Kollektion ist nicht jedermanns Geschmack: „Ich möchte mir Marzipankartoffeln in die Ohren stecken und Zimtstangen in die Augen rammen!“, stöhnt die X-Gemeinde.
Immerhin: Reinhard Mey ist gekommen und hat seine Klampfe mitgebracht, er singt zwar nicht von der grenzenlosen Freiheit über den Wolken, aber davon, dass die Phantasie dem Menschen Flügel verleihen kann.
Als Kontrapunkt zur Rührung im Saal hüpft Helene Fischer dann schnell mit einer Schar Kinder über die Bühne und singt sich durch die Top Ten der Kita-Hits, bis allen ganz hulli-gulli-gulli-gulli-gulli-ramsamsam ums Herz ist.
Ein Erdmännchen für Helene Fischer
Hape Kerkeling, eigentlich der subtilste Kritiker der Schlagerwelt, singt komplett ironiefrei von seiner Oma und ihrem Credo: „Glaub an dich!“. Dafür gibt Michael Kessler den sehr viel besseren Florian Silbereisen und tritt im Duett mit Helene Fischer den Beweis an, dass Comedy nicht die Kernkompetenz der Schlagersängerin ist.
Der echte Flori schaut danach vorbei und bewirbt „Das Traumschiff“ am zweiten Weihnachtstag, auf dem er den Kurs angibt. Damit haben Silbereisen und Fischer endgültig die Lufthoheit über Weihnachten inne.
Als singendes Trostpflaster für alle, die sich dem Familienfrieden zuliebe dem Schlager-Fest ergeben haben, wurde Robbie Williams eingeflogen.
Im Lametta-Anzug gibt er den Seelentröster „Forbidden Road“ zum Besten und macht Werbung für seinen Film. In dem Biopic „Better Man“ wird Williams von einem Schimpansen gespielt, mit „warum auch nicht?“, begründet er diese Entscheidung.
„In diesem Moment bin ich glücklich“
Gefragt nach dem Tier, das sie darstellen könnte, wünscht sich Helene Fischer ein Erdmännchen. Selbst dann würden wohl noch Millionen den Film anschauen.
„Was kann uns Hoffnung geben?“, hatte der Bundespräsident an diesem Abend in seiner Weihnachtsansprache in die Runde gefragt.
Das ZDF hat eine erste Antwort parat: Solange an den Weihnachtsfeiertagen erst Helene Fischer mit den Kugeln im Christbaum um die Wette glitzert und dann „Das Traumschiff“ in See sticht, ist in Deutschland noch nicht alles aus den Fugen geraten.
„Ich lebe im Hier und Jetzt, und in diesem Moment bin ich glücklich“, erklärt der inzwischen 82-jährige Reinhard Mey bei der „Helene Fischer Show“. Nicht der schlechteste Rat für 2025.
An Silvester hat das ZDF ebenfalls einiges geplant. Was genau auf dem Programm steht, haben wir hier für Sie zusammengefasst.