Wie der Berner Abfahrer Lars Rösti den sechsten Gang gefunden hat: «Ich traue mir jetzt mehr zu»
Der Berner Oberländer Lars Rösti galt als Schweizer Abfahrtshoffnung, war auf dem Weg zum gescheiterten Talent und sieht jetzt doch plötzlich grün.
Nein, so oft auf eine Zwischenzeit angesprochen wurde er sein Leben lang noch nie. Der Berner Oberländer Lars Rösti fuhr vor Weihnachten bei der Weltcup-Abfahrt in Val Gardena allen davon, lag bei der zweitletzten Zwischenzeit sagenhafte 86 Hundertstelsekunden vor Sieger Marco Odermatt. Erst ein ärgerlicher Fehler in der technischen Passage liessen den Podesttraum des 26-Jährigen platzen.
Im Ziel freute sich Lars Rösti aus St. Stephan im Simmental auch ohne das Wissen, was möglich gewesen wäre, wie ein Maikäfer über seinen 12. Rang. Bis vor dieser Saison schaffte es der gelernte Schreiner in einer Weltcup-Abfahrt erst fünfmal überhaupt in die Top 30. Nun stellte er in der Abfahrt von Beaver Creek (18.), in der Abfahrt von Gröden (12.) und im Super-G von Gröden (8.) lauter Karriere-Bestresultate auf.
Balsam auf die mentalen Wunden der Vergangenheit
Selbst die mit der immer gleichen Bemerkung im Zielraum der Saslong-Rennstrecke auf ihn zukommenden Teamkameraden konnten seine Freude nicht schmälern: «Hast du gesehen, wie unglaublich grün deine Zwischenzeiten unterwegs waren?» lautete die Standardfrage.
Ja, der Einstieg in die Saison hat gut getan nach Jahren, in denen der Berner Oberländer mehr schlecht als recht im Weltcup dabei war, oft interne Ausscheidungen fahren musste und nie die selbst geschürten Erwartungen erfüllen konnte. 2019 war es, da kürte sich Lars Rösti zum Junioren-Weltmeister in der Abfahrt. Er galt als Zukunftshoffnung, vielleicht sogar als künftiger Weltcupsieger. Geliefert hat er bisher nicht. Wieso nicht?
Der 100-Kilo-Athlet nennt einen Mix an Faktoren, die sich in den vergangenen Jahren zusammenbrauten. Angefangen von den eigenen Erwartungen an die Leistungsentwicklung über die Probleme, als Renntyp bereits die richtige Einstellung für harte Ausscheidungen im Training zu finden, bis hin zu den tückischen Folgen eines üblen Sturzes am Lauberhorn mit Diagnose Gehirnerschütterung kommt einiges zusammen. «Irgendwie war es immer ein wenig eine Zwängerei. Erst jetzt spüre ich wirklich eine Lockerheit.»
Auch das wiederkehrende Szenario, im Weltcup in die Saison zu starten und dann wieder zurück in den Europacup versetzt zu werden, nagte an ihm. «Nach diesem Sturz im Januar 2023 war mein Selbstvertrauen so richtig im Keller. Ich wusste, dass ich etwas Grundlegendes ändern musste. Durch die Folgen der Gehirnerschütterung war ich oft gereizt. Familie und Freundin mussten mich damals so richtig erdulden.»
Die neuen Ski und das andere Mindset
Lars Rösti wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Er setzte an zwei Orten an: Beim Material mit einem Wechsel von Rossignol zu Stöckli. Mit Marco Odermatt teilt er sich seit letzter Saison nicht nur die Skimarke, er vertraut mit Michael Schiendorfer auch auf den gleichen Manager wie der Überflieger. «Dass mir ein Ausrüster in jener Situation, in der ich mich im Frühling 2023 befunden habe, überhaupt eine Chance gibt, ist alles andere als selbstverständlich», sagt der Berner.
Angesetzt hat Lars Rösti auch beim Mindset betreffend Skitrainings. Nicht mehr erst im Rennen die Grenzen zu suchen, habe ihm geholfen. Es gebe ihm ein gutes Gefühl für das Rennen. «Ich traue mir jetzt mehr zu. Mein Selbstvertrauen ist so gut wie nie seit 2019», sagt Rösti. Auch körperlich fühlt er sich so stark wie noch nie.
Ohne ein Detail hätte Lars Rösti aus diesem Teufelskreis des regelmässigen Selektions-Spielballs zwischen Welt- und Europacup kaum herausgefunden. Dank dem zweiten Platz in der Saisonwertung Abfahrt im Europacup eroberte der 26-Jährige heuer einen Fixplatz im Weltcup. Quasi auf den letzten Drücker machte er sich zum Teil dieses aktuell unglaublich starken Schweizer Speedteams.
Und nun kommt Bormio. Seine Bilanz auf der Stelvio sieht bislang trist aus. Besser als auf dem 35. Platz im gestrigen Training war er noch nie klassiert. «Bormio irgendwie überleben» und dann im Januar in Wengen und Kitzbühel brillieren, lautet deshalb sein Schlachtplan. Wobei seine Ansprüche selbst auf der schwierigsten Abfahrt der Welt höher geworden sind: «In die Punkte zu fahren ist schon mein Ziel», sagt Rösti. Auch das wäre eine Art Ritterschlag.