Niemand weiß genau, was Donald Trump anstellen wird, wenn die Wähler ihn zurück ins Weiße Haus bringen sollten. Seine bedrohlichen Ankündigungen zu Importzöllen gehen nie ins Detail und ändern sich im Laufe der Zeit. Man weiß überdies nicht, wie ernst der republikanische Präsidentschaftskandidat sie selbst nimmt und wie verhandlungsbereit er ist. Schließlich sind da noch die offenen Fragen, wie viel exekutive Macht ihm die amerikanische Verfassung zugesteht und wie viel er von seinen Ideen in die Tat umsetzen kann, falls er nach einem eigenen Wahlsieg keine Mehrheit dafür im Kongress zu organisieren vermag.
Die Unsicherheit ist den Umständen geschuldet, sie hat aber auch Methode. Trump sieht es als probate Strategie an, Freund und Feind über seine Schritte im Ungewissen zu lassen, wie Mitstreiter bestätigen. Geradezu beruhigend wirkt im Vergleich die Perspektive einer Regierung unter der demokratischen Kandidatin Kamala Harris. Sie hat keine neuen Zölle angekündigt. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass sie den protektionistischen Kurs von Präsident Joe Biden fortsetzen wird, gewürzt mit eigenen industriepolitischen Elementen. Den „Inflation Reduction Act“ mit seinen klimapolitischen Subventionen wird Harris ausbauen, wenn die Wähler sie lassen.
Deutschland genießt nicht das Privileg des unbeteiligten Beobachters einer unterhaltsamen Konfrontation. Dem Land droht vielmehr ein veritabler Schaden. Die Vereinigten Staaten sind neben China Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die Bedeutung der USA als Abnehmer von Autos, Maschinen und von Produkten der Chemieindustrie hat in den vergangenen Jahren noch zugenommen. Güter und Dienste im Wert von mehr als 200 Milliarden Euro setzte die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr in den Vereinigten Staaten ab. Das entsprach elf Prozent des Gesamtexports. Der Import aus den USA lag rund 80 Milliarden Euro niedriger. Noch aussagekräftiger ist, dass nach Kalkulation des Ifo-Instituts rund sieben Prozent von allem, was in Deutschland hergestellt (Güter) und bereitgestellt (Dienste) wird, in die Vereinigten Staaten geht.
20 Prozent auf alles
Die Dimension unterstreicht, warum Trumps wirtschaftspolitische Idee eines Zolls von 20 Prozent auf alle Importe, egal, ob von Freund oder Feind, so folgenreich ist. Einfuhren aus China sollen generell mit 60 Prozent Zollaufschlag belegt werden, dazu kommen je nach Stimmung Trumps noch Sonderzölle auf Autos oder gegen Länder, die sich vom Dollar als Reservewährung verabschieden wollen. Egal, ob 20 Prozent Aufschlag oder 10 Prozent, die Trump gelegentlich auch androht: Die deutsche Industrie wäre ins Mark getroffen. Die Hersteller von Chemikalien einschließlich Pharmaprodukten, Fahrzeugen und Maschinen haben noch nicht einmal die jüngsten Schocks verwunden.
Eine der Zollrunden könnte den Windhauch entfachen, der die deutsche Volkswirtschaft abrutschen lässt, schreiben Bankvolkswirte von ABN Amro. Bisher sei Deutschland noch um Massenentlassungen herumgekommen, sagt Ökonom Bill Diviney von ABN Amro. Doch der Fall von Volkswagen zeige, dass es ein Limit für eine Personalpolitik gebe, bewährte Arbeitskräfte auch in Zeiten der Unterbeschäftigung zu halten.
Ökonomen haben Modellrechnungen angestellt, um die Auswirkungen der von Trump angedrohten Zölle zu kalkulieren. Im „Tough Trump“-Szenario eines unerbittlichen Präsidenten, der 60 Prozent Zoll auf die chinesische Einfuhr verhängt und 20 Prozent auf den Import aus allen anderen Ländern, bräche die deutsche Ausfuhr sowohl nach Amerika als auch nach China ein. Zu diesem Ergebnis kommt das Ifo-Institut.
Freihandel auf dem Prüfstand
Das Amerikageschäft schrumpfte, weil die deutschen Produkte schlicht teurer würden im Vergleich zur amerikanischen Konkurrenz, die überdies durch eine Trumpsche Unternehmenssteuersenkung begünstigt sein könnte. Die deutsche Industrie würde zudem weniger Vor- und Zwischenprodukte nach China verkaufen, wenn das asiatische Land wegen des drakonischen Zollaufschlags deutlich weniger Güter nach Amerika verschiffen könnte. Die Ausfälle für Deutschland würden nur zum Teil ausgeglichen werden, etwa durch mehr Ausfuhren nach Mexiko oder Kanada. Beide Länder sind mit den USA durch ein von Trumps erster Regierung ausgehandeltes Freihandelsabkommen verbunden. Sie könnten zur Zwischenstation für Lieferung in die Vereinigten Staaten werden. Dieses Szenario steht und fällt allerdings mit der Annahme, dass der Handelspakt, der 2026 auf den Prüfstand gestellt wird, von Trump und den Regierungschefs der anderen zwei Länder erneuert würde. Trumps Wahlkampfäußerungen geben in der Hinsicht keinen Anlass zur Zuversicht.
Im „Tough Trump“-Szenario sinkt nach der Ifo-Analyse der deutsche Export um fast zwei Prozent, mit großen Unterschieden zwischen den Branchen. Der Autoabsatz in die USA bräche um 32 Prozent ein, der Absatz pharmazeutischer Erzeugnisse um 35 Prozent. Speziell für diese Branche wäre das schwer zu verkraften, weil die USA ein so wichtiger Markt sind. Zu einem guten Teil aber könnte die Pharmaindustrie die Ausfälle durch Lieferungen nach anderswo kompensieren, zeigen die Ifo-Berechnungen. Die deutsche Wirtschaftsleistung würde im „Tough Trump“-Szenario schrumpfen. Das Bruttoinlandsprodukt würde im Jahr 2028 um 1,5 Prozent niedriger ausfallen, erwartet das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Auch Unsicherheiten mit einer Präsidentin Harris
Es könnte noch schlimmer kommen. Trump könnte auf der Suche nach Spargelegenheiten für den Haushalt auf die Idee gebracht werden, die Steuervergünstigungen des „Inflation Reduction Act“ zu streichen, spekuliert der Handelsfachmann William Reinsch in einer Analyse für die Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. Das wäre negativ für einige deutsche Unternehmen der Klimatechnik, die von dem Geld profitieren, das mit dem Fördergesetz – trotz aller protektionistischen Klauseln – als Subvention auch sie erreicht. Schlimmer noch wäre es, wenn Trump das „Leasing-Schlupfloch“ schlösse, das den Käufern von deutschen Elektroautos in den Vereinigten Staaten die Chance gibt, in den Genuss der Höchstförderung von 7500 Dollar zu kommen, wenn die Fahrzeuge geleast werden. Als sie publik wurde, hatte diese Sonderklausel einen Stoßseufzer der Erleichterung in der deutschen Industrie ausgelöst.
Ungemach droht überdies in zwei schwelenden Handelskonflikten: Trumps Stahl- und Aluminiumzölle hatte sein Nachfolger Joe Biden nur auf Eis gelegt, ebenso wie den Streit über Airbus-Subventionen. Hier ist auch unklar, wie Harris als Präsidentin beide Konflikte lösen wollte. Harris hat starke protektionistische Neigungen, wie sie durch ihr Nein zum nordamerikanischen Freihandelsabkommen im Senat untermauert hatte.
Schwerer als die direkten Schäden neuer Zölle unter Trump wären für den Standort Deutschland die mittel- und langfristigen Folgen. Deutschland leidet an einer Investitionsschwäche, die dazu beiträgt, dass die Produktivitätsentwicklung stagniert und weiter hinter die USA zurückfällt. Produktivitätsgewinne sind jedoch die Quelle des Wohlstands. In Deutschland, notiert Ökonom Thomas Obst vom IW, hängen zwei Drittel der Investitionen von Exporten ab, die durch die Trump-Zölle gedämpft würden. Es ist, als ob einem vor der Überrundung stehenden Läufer noch ein schwerer Rucksack aufgeladen wird.
Es kommt auf die Deals an
Für Deutschland und die Europäische Union gibt es keinen Grund, sich ihrem Schicksal nach der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten zu ergeben. In Brüssel macht man sich Hoffnung, Trump weichspülen zu können. Im „Soft Trump“-Szenario eines milden Präsidenten, wie es Analysten der ABN Amro Bank entwerfen, gelingt es den europäischen Unterhändlern, eine Ausnahme vom Trumpschen Zollregime durchzusetzen mit einer Kombination aus handfesten Zugeständnissen und schweren Drohungen. „Soft Trump“ wäre zwar auch wirtschaftlich zunächst mit einem Dämpfer verbunden, aber im Laufe der Zeit könnte die EU wegen ihres Zollprivilegs sogar profitieren.
Voraussetzung für den Erfolg transatlantischer Verhandlungen ist, dass die Europäer mit einer Obsession von Trump umgehen: dem amerikanischen Handelsbilanzdefizit mit der EU und speziell mit Deutschland. „Aus ökonomischer Perspektive ist ein Überschuss oder Defizit in der bilateralen Handelsbilanz per se weder gut noch schlecht“, erklärt das Ifo-Institut. Für Trump und seinen handelspolitischen Berater Robert Lighthizer aber ist ein Handelsbilanzdefizit ein Beweis, dass der Partner unfair handelt. Diesem Vorwurf stünde Deutschland auch gegenüber, wenn Harris die Wahl gewinnt. Die Kritik am deutschen Exportmodell reicht weit ins demokratische Lager hinein und war schon von demokratischen Präsidenten geführt worden, sagt Peter Sparding vom Center for the Study of the Presidency & Congress. Anders als Biden ist Harris überdies keine Transatlantikerin mehr.
Hebel Militärgüter
Aus Brüssel kamen Signale, dass die EU mehr Waren aus den USA kaufen könnte, um den aufgestauten Ärger und das Handelsbilanzdefizit zu verringern. Flüssiggas und Erzeugnisse der Landwirtschaft kämen dafür infrage. Voriges Jahr nahm Europa die Hälfte des amerikanischen Flüssiggases auf. Die Biden-Regierung bremste die Entwicklung, indem sie zunächst keine neuen Ausfuhrgenehmigungen erteilte. Trump würde diese Blockade aufheben und die Exportkapazität erhöhen helfen, für die Abnehmer gesucht werden. Die EU kann allerdings nicht anordnen, dass europäische Unternehmen mehr Flüssiggas ordern.
EU-Staaten könnten aber deutlich mehr Militärgüter aus den USA bestellen, etwa zusätzliche F 35-Kampfflugzeuge, die über das vorliegende Ordervolumen hinausgehen. Deutschland hat bisher 35 davon bestellt, ist aber in Gesprächen für acht bis zehn weitere, wie im Sommer berichtet wurde. Eine solche Bestellung könnte entwaffnende Wirkung haben. Die Flugzeuge werden komplett in Amerika gefertigt, eine Bestellung würde dem strauchelnden Boeing-Konzern helfen und der sicherheitspolitischen Debatte die Schärfe nehmen.
Nicht nur bei Trump und seinen Mitstreitern setzt sich der Gedanke fest, dass „Germany’s Zeitenwende“, der von Bundeskanzler Olaf Scholz propagierte Wandel, um Jahre der Vernachlässigung der Verteidigung auszugleichen, gescheitert ist, wie Nadia Schadlow vom konservativen Hudson Institute sagt. Die Vorstellung, dass Europa nicht genug tut, um seine Interessen zu verteidigen, teilen auch Berater von Harris.
Die EU hat mehr zu verlieren
Das Problem in möglichen Verhandlungen mit Amerika ist nach der Ifo-Analyse die Asymmetrie. Mehr als acht Prozent der industriellen Wertschöpfung in Europa werden direkt oder indirekt in die Vereinigten Staaten exportiert, während die industrielle Wertschöpfung in den USA nur zu etwa 3,3 Prozent von der Nachfrage im europäischen Binnenmarkt abhängt. Mit anderen Worten: Die EU hat mehr zu verlieren. Das nimmt der Drohung mit Zöllen bis zu 50 Prozent auf amerikanische Güter, die die EU als Teil ihrer Strategie von Zuckerbrot und Peitsche diskret lancierte, etwas von ihrer Beißkraft. Die europäische Position wird zusätzlich dadurch unterminiert, dass der handelsgewichtete durchschnittliche Einfuhrzoll der EU höher liegt als die durchschnittliche Einfuhrabgabe der USA.
Eine andere Option für Europa wäre, sich generell wirtschaftlich in Form zu bringen, um für die Vereinigten Staaten attraktiv zu bleiben. Der Internationale Währungsfonds mahnt die EU, die weiter bestehenden internen Handelshemmnisse zu eliminieren. Speziell die Öffnung des Dienstleistungssektors, wo die Amerikaner komparative Vorteile haben, könnte die Dynamik beflügeln und zugleich eine amerikanische Regierung bei Laune halten.
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