TV-Kritik «Tatort» –
Einmal Krimi mit Kloss im Hals, bitte!
Der neue Fall aus Dresden ist düster, bedrückend – und auffallend spannend. Es geht auch um die Vergangenheit von Kommissarin Leonie Winkler.
Ann-Marlen Hoolt
Publiziert heute um 21:30 Uhr
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Für diesen «Tatort» aus Dresden lohnt sich ein Blick nach Nordrhein-Westfalen. Genauer, auf einen Vorfall, der sich hier im Mai 2020 ereignet hat. Als bei einer Verkehrskontrolle in Gevelsberg plötzlich Schüsse gefallen waren, flüchteten zwei Polizistinnen, statt ihren Kollegen im Kugelhagel zu helfen. Der Fall wurde vor Gericht verhandelt, die beiden Frauen bekamen schliesslich vier Monate Haft auf Bewährung und mussten sich einem dienstlichen Disziplinarverfahren stellen.
Und natürlich hat dieser Fall Fragen aufgeworfen. Dürfen Polizisten Todesangst haben? Verpflichtet das Amt zu Tapferkeit? Kann diese Flucht aus der Pflicht vielleicht sogar als Totschlag durch Unterlassung ausgelegt werden, wie ein Amtsgericht zunächst geurteilt hatte?
Schmerz, Schuldgefühle und traurige Musik
Wer nun den «Tatort» aus Dresden schaut, könnte erwarten, dass diese Fragen auch hier eine Rolle spielen. Denn es gibt einige Parallelen zum Fall aus Gevelsberg. Der «Tatort» beginnt mit einer Verkehrskontrolle, die in einer Schiesserei endet, und auch hier lassen zwei Polizistinnen ihre Kollegen allein zurück. Die Chance, jetzt aber auch die moralischen Grauzonen dieses Vorfalls auszuleuchten, nimmt die Folge aus Dresden nur halbherzig wahr. Ja, etwaige Konsequenzen für Karriere und Ansehen stehen im Raum, aber nur als Randhandlung.
Im Zentrum steht nämlich etwas anderes: die Vergangenheit von Kommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel), die gemeinsam mit ihrer Kollegin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) nach dem flüchtigen Schützen sucht. Sie erkennt, dass die niedergeschossenen Polizisten zu der Wache gehören, auf der auch ihr Bruder Martin gearbeitet hat – bis er im Einsatz erschossen wurde. Kommissarin Winkler wird von der Vergangenheit eingeholt, von dem Schmerz über den Verlust des Bruders. Und dann steht auch noch der Verdacht im Raum, dass die Schiesserei und Martins Tod zusammenhängen könnten.
«Unter Feuer» (Buch: Christoph Busche, Regie: Jano Ben Chaabane) ist ein düsterer, bedrückender Tatort. Aufgeladen mit Schmerz, Schuldgefühlen und trauriger Musik. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ein herausragend starker Krimi, der trotz der Konzentration auf die Innenwelt der Kommissarin die Spannung durchgehend hält – und dann mit einem Kloss im Hals in den Abend entlässt.
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