Deutschlands Regierung hat alles darauf gesetzt, dass Kamala Harris die US-Wahl gewinnt. Das war ein Fehler.
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Der deutschen Regierung war klar, wer die Wahl in den USA gewinnen sollte: Kamala Harris. «Ich kenne sie gut. Sie wäre sicherlich eine sehr gute Präsidentin», sagte Kanzler Olaf Scholz vor der Wahl über die Kandidatin der Demokraten. Aus der Abneigung gegenüber Donald Trump macht man in Berlin hingegen kein Hehl. Auch auf Nachfrage wollte sich Scholz lieber nicht zum Kandidaten der Republikaner äussern.
Die deutsche Regierung hatte alles auf einen Sieg von Harris gesetzt. Einen Plan B hatte sie anscheinend nicht. Das war ein Fehler.
Trumps Sieg offenbart nun schonungslos die Versäumnisse der deutschen Regierung. Die Amtszeit Joe Bidens hätte diese nutzen müssen, um sich unabhängiger von den USA zu machen. Stattdessen hat sie die vergangenen vier Jahre verschlafen.
Scholz muss mehr Verantwortung übernehmen
Das gilt insbesondere für die deutsche Verteidigungspolitik. Deutschland hat die Bundeswehr vernachlässigt. Schliesslich konnte man sich stets auf die Schutzmacht USA verlassen. Doch Trump hält nicht viel von der Nato. Für die Ukraine hat er nur vage Pläne. Ob er ihr Waffen liefern wird oder sie finanziell unterstützen will, ist unsicher. Scholz will nun wieder aufrüsten und den europäischen Pfeiler der Nato stärken, etwa durch das kürzlich geschlossene Verteidigungsabkommen mit Grossbritannien.
Aber das wird zu wenig sein, sollten die USA unter Trump ihre Hilfen für die Ukraine reduzieren und sich weniger in der Nato engagieren. Scholz wäre dann Europas wichtigster Mann in Sachen Verteidigung – und müsste diese Führungsrolle auch ausfüllen. Bisher verhält er sich jedoch kaum so. Bei seinen Abwägungen geht es immer wieder auch darum, Putin nicht zu provozieren. Einen Zauderer an der Spitze kann sich Europa in Zeiten des Krieges jedoch nicht leisten.
Auch in der Wirtschaftspolitik hat die deutsche Regierung die Amtszeit Bidens ergebnislos verstreichen lassen. Sie hat keinen Plan, wie Deutschland und Europa mit dem schrittweisen Abschied Amerikas vom Freihandel umgehen sollen. Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium führte Biden fort. Die finale Einigung darüber haben die USA und die EU lediglich aufgeschoben. Und auch nach der Verabschiedung der Inflation Reduction Act, eines Subventionspakets für die amerikanische Wirtschaft in Milliardenhöhe, tat sich die deutsche Regierung nicht als Problemlöser in der EU hervor.
An Trump, der Zölle als Mittel zur Durchsetzung seines Willens versteht, wird sich Deutschland nun wohl erst recht die Zähne ausbeissen. Ihn kümmern europäische Befindlichkeiten noch weniger. In der EU bereitet man für den Fall der Fälle wohl schon Gegenzölle vor. Auf den Protektionismus reagiert man also mit mehr Protektionismus. Die Folgen wären auch für die deutsche Wirtschaft verheerend.
Deutschland muss auch auf Trump zugehen
Zu den neuen Realitäten gehört auch, zu akzeptieren, dass es in den USA eine politische Strömung gibt, die Deutschland nicht mehr selbstverständlich als Partner sieht. Auch wenn Trumps politische Karriere einmal endet, werden nicht plötzlich alle in den USA wieder zu überzeugten Transatlantikern. Die deutsche Regierung – die amtierende und die nächste – muss lernen, auch auf diese Personen zuzugehen.
Dass die Regierung Scholz das bisher versäumte, liegt natürlich auch an Trump selbst. Im Wahlkampf polterte er regelmässig gegen Deutschland. Taktik der deutschen Regierung kann es jedoch nicht sein, ihm ähnlich rüpelhaft entgegenzutreten wie etwa kürzlich das Auswärtige Amt auf der Plattform X.
Dort reagierte man äusserst dünnhäutig auf seine Äusserungen zum deutschen Kohleausstieg. «Like it or not», schrieb das Ministerium, an Trump gerichtet, das deutsche Energiesystem sei voll funktionsfähig. Und in Anspielung auf seine erfundene Geschichte über haustieressende Migranten in der Stadt Springfield: «PS: Wir essen auch keine Katzen und Hunde.»
Andere Regierungen waren hingegen bereits im Wahlkampf darum bemüht, sich gut mit Trump zu stellen. Der britische Premierminister Keir Starmer traf sich etwa Ende September für zwei Stunden mit ihm im Trump Tower in New York. Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, der im Jahr 2022 erschossen wurde, überzeugte Trump seinerzeit beim Golfspielen von seinen Ideen.
Die deutsche Regierung muss Trump nicht gleich, wie Abe es gemacht hat, für den Friedensnobelpreis nominieren. Aber zur Zeitenwende könnte es auch gehören, dass im Weissen Haus künftig häufiger ein Politiker sitzt, den man nicht unbedingt einen Freund nennen würde.
Von der deutschen Regierung darf man deshalb erwarten, dass sie sich auch mit Trump um gute Beziehungen bemüht. Schliesslich findet sie selbst mit Autokraten Kompromisse, wenn es sein muss. Deutschland hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin lange hofiert, und das Kanzleramt ist sehr an einem guten Draht zu China und dessen Staatschef Xi Jinping interessiert. Beide sind lupenreine Autokraten, die sich nicht im Geringsten um Menschenrechte scheren. Verglichen mit ihnen ist Trump harmlos.
Umso unverständlicher ist es, dass die deutsche Regierung hier bisher mit zweierlei Mass misst. Politisches Handeln von persönlicher Sympathie abhängig zu machen, ist nicht in Deutschlands Interesse.
Dieser Kommentar ist am Dienstagabend erschienen und wurde aktualisiert.
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