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“Der Berg kommt” – wie eine Bewohnerin von Brienz mit der Gefahr umgeht

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Reportage

Stand: 17.11.2024 15:46 Uhr

Bereits 2023 mussten die Bewohner Brienz vorübergehend verlassen. Nun müssen sie erneut gehen – wohl für länger. 1,2 Millionen Kubikmeter Geröll rutschen oberhalb des Schweizer Bergdorfs ab. Wie gehen die Bewohner damit um?

Es ist Samstagnachmittag auf einer sonnigen Caféterrasse in Lenzerheide, nicht weit von Brienz: “Ich muss einen Schluck nehmen, darf ich?”, fragt Franziska Bötschi. Sie nippt an einem Prosecco. Ihre 71 Lebensjahre sind ihr kaum anzusehen. Kein bisschen Grau in den dunklen, kurzen Haaren – ungefärbt natürlich “Ja, no echte Brienzerin”, sagt sie mit Schweizer Zungenschlag.

Franziska ist in Brienz geboren und aufgewachsen. Mit ihrem Mann Rene lebt sie am Dorfrand, direkt unter dem rumorenden Berg. Kurz bevor sie ihr Haus für lange Zeit verlassen muss, ist Franziska für unser Gespräch extra in den Nachbarort gekommen. Denn für Leute von außerhalb gilt in Brienz schon seit Tagen absolutes Betretungsverbot. Am Berg bewegen sich 1,2 Millionen Kubikmeter Geröll talwärts und drohen das Bergdorf zu zerstören.

“Wenn die Erde frisch rutscht, dann ist das Gelb”

Der Berg kommt, wann er will. Und den Berg kennen wir gut genug. Aber weißt Du, man sieht schon jeden Tag wie es runterrutscht. Weil es immer am Rande so gelbe Flecken hat. Wenn die Erde frisch rutscht, dann ist das ganz Gelb, und das siehst Du. Darum: Etwas kommt schon, es ist etwas am Tun. Hundert Prozent.

Franziska Bötschi lebt am Dorfrand von Brienz, direkt unter dem rumorenden Berg. Nun muss sie erneut ihr Haus verlassen

Das sagt auch der geologische Frühwarndienst. Seit einigen Wochen rutsche eine sogenannte Schutthalde um bis zu 35 Zentimeter pro Tag nach unten. Und die könne sich schlimmstenfalls in eine reißende Steinlawine von 80 Stundenkilometern und mehr verwandeln.

Vor einer Woche wurden die Menschen im Dorf über die Gefahr informiert – morgens um 7 Uhr, per SMS. Franziska erinnert sich: “Da kam Getöne, SMS, und wieder und wieder Töne.” Sie habe zu ihrem Mann gesagt: “Was ist los? Brennt es irgendwo?” Er sagte: “Nein”. Ich fragte ihn, was denn sei. “Unser Berg kommt”, antwortete er.

Zeit der Ungewissheit

Und schon wieder müssen Franziska und Rene Haus und Dorf verlassen. Vergangenes Jahr landete der vorhergesagte Felssturz knapp neben dem Dorf. Nach ein paar Wochen konnten sie zurückkehren. Doch diesmal muss sich Franziska auf eine lange Wartezeit einstellen. Bis in den Frühling, sagen die Behörden. “Jetzt ist es schwerer zu gehen”, so Franziska. “Ich habe heute schon geweint. Wenn ich dann das Deckbett unter den Arm nehme, das ist am Anfang schon schwer, aber nachher geht’s.”

Für Besucher gilt schon länger ein Betretungverbot, inzwischen wurden auch alle Einwohner aus dem Dorf gebracht.

“Der komme nur in der Nacht, wenn alle schlafen”

Wie vergangenes Jahr kommen Franziska und Rene im Nachbardorf bei Freunden unter. Nun kommt eine lange Zeit der Ungewissheit und des Wartens. Sie könne es immer noch nicht begreifen, sagt Franziska. Aber, verglichen mit den Menschen, die in Spanien von Überschwemmungen überrascht wurden, gehe es ihnen doch noch gut, sagt sie.

Sie bleibt zuversichtlich. “Er – der Berg – kommt, das ist sicher, da gibt’s keine Diskussionen”, so Franziska. “Aber dass er ganz gemütlich kommt wie letztes Mal. Und fertig. Vielleicht kommt er wieder in der Nacht? Ich denke schon!” Das sei ein spezieller Berg, sagt sie und lacht. “Der komme nur in der Nacht, wenn alle schlafen.”

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