Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre –
Er so, dann er so, dann wieder er
Die Erfolgsautoren sprechen über Banalitäten – und machen wieder ein Buch draus. Sie versäumen es, in die Tiefe zu gehen, wenn es schmerzhaft würde. Muss man da dabei sein?
Christiane Lutz
Publiziert heute um 11:26 Uhr
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- Stuckrad-Barre und Martin Suter veröffentlichen ein neues Gesprächsbuch mit dem Titel «Kein Grund, gleich so rumzuschreien».
- Das Buchprojekt bietet mehr Geplänkel als tiefgehende Debatten.
- Private Themen wie Trauer werden mit Humor, aber oberflächlich behandelt.
Auf Instagram sind wieder Stucki-Wochen. Die sind immer dann, wenn Benjamin von Stuckrad-Barre ein neues Buch und somit sich selbst zu promoten hat. Diesmal ist das «Kein Grund, gleich so rumzuschreien», ein Gesprächsbuch von Stuckrad-Barre und Martin Suter.
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Es ging damit los, dass Stuckrad-Barre während der Frankfurter Buchmesse dazu aufrief, das gigantische Foto von sich und Suter am Stand des Diogenes-Verlags mit dem Buchtitel zu beschmieren und das Ergebnis zu posten. In den vergangenen Tagen posteten dann Halbprominente und Prominente ein kurzes Video, in dem sie den Buchtitel, also «Kein Grund, gleich so rumzuschreien» performten, vorlasen, schrien, flüsterten. Was diese Videos bedeuten sollen, ist ja klar: Schaut her, wer unsere Freunde sind.
Was diese Kampagne aber auch aussagt: Wer sich einen so prominenten digitalen Teppich ausrollen lässt, hat entweder ein richtig gutes Produkt zu vermarkten oder eben gerade nicht. Oder aber, dritte Möglichkeit, er traut sich ohne diese Entourage nicht nach draussen.
Der Tanz um Stuckrad-Barres Eitelkeit
Im Fall Benjamin von Stuckrad-Barre ist es so, dass er aus seinen Selbstzweifeln und Abgründen keinerlei Hehl macht, er hat mit «Panikherz» ein ganzes Buch darüber geschrieben. Das ist zwar auch Teil einer Inszenierung, aber schlussendlich vermutlich glaubwürdig. Es darf also angenommen werden, dass für ihn dieses nervig-penetrante Aufmerksamkeits-Game, dieses digitale Namedropping als Schmieröl seiner Selbstdarstellung fungiert.
Man muss ja auch erst mal so viele Leute dazu bringen, vermutlich ohne das Buch gelesen zu haben, dessen Titel vertrauensselig ins Internet zu rufen. So weit, so legitim. Eigentümlich trotzdem, warum alle diesen Tanz um ausgerechnet seine Eitelkeit mitmachen.
Man erfährt, was man nie wissen wollte und deshalb nie wieder vergisst
Im Falle von Stuckrad-Barres als «Me Too»-Roman getarnter Selbstbeweihräucherung «Noch wach?»als auch schon Hinz und Kunz solche Videos hochludenkonnte man Einzelnen unter Umständen noch vorwerfen, sich damit zum Teil einer fragwürdigen Kampagne zu machen. Diese Gefahr besteht diesmal nicht, «Kein Grund, gleich so rumzuschreien» ist ein maximal unverdächtiges Produkt.
Es ist der zweite Teil eines Gesprächs zwischen Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter, das sich im ersten Teil «Alle sind so ernst geworden» (2020) eigentlich schon erschöpft hatte. Das Konzept ist aber auf eine endlose Anzahl Bände ausweitbar und somit ökonomisch genial.
Auf ein Stichwort hin assoziieren die beiden drauflos, meist in Hotels oder bei Martin Suter zu Hause in Zürich. Es geht um Blumen, Housekeeping, Piercings, Rasenmäherroboter, Benutzernamen, Camping. Liebe, Eitelkeit, Gesundheit. Und das ist auch schon alles.
Man erfährt, was man nie wissen wollte, aber genau deshalb vermutlich nie wieder vergessen kann: Stuckrad-Barre zieht die Sonnenblume der Rose – «die dümmste Blume» – vor. Martin Suter färbt sich die Haare nicht. Stuckrad-Barre wäre gern ein Rasenmäherroboter, und Martin Suter hatte mal einen Ohrring. So plaudern sie, immer ein bisschen zu amüsiert von der eigenen Originalität. Mehr Geplänkel als relevante Debatte. Relevanz wurde allerdings auch nie behauptet. Das fänden die beiden wohl eitel.
Künstler sein, ohne eitel zu sein, geht nicht
Apropos: Es gibt sogar ein ganzes Kapitel über Eitelkeit. «Bist du eigentlich eitel? Das wird uns ja beiden manchmal nachgesagt», fragt Suter, rührend vorsichtig. Stuckrad-Barre findet als Antwort darauf dann Schriftsteller «mit Botschaft» eitel, eitel aber auch solche, die Interviews verweigern. Weil die grosse Geste des Selbstentzugs die eigene vermeintliche Wichtigkeit ja erst betone. Schriftsteller, die sich politisch verhalten, sind eitel. Etwas zu tun, ist genauso eitel, wie dasselbe zu unterlassen und so weiter und so fort. Kurzum: Künstler sein, ohne eitel zu sein, das geht nicht.
Stuckrad-Barres Masche ist dabei die immer gleiche: Er entkräftet potenzielle Kritik, indem er sie immer selbst zuerst formuliert. Und auch das ist ihm bewusst: «Genau darin besteht wohl meine innerliche Eitelkeit», sagt er, «dass ich auch noch meine Fehler, meine Schwäche und mein Scheitern so ausstelle. Meine äussere Eitelkeit dagegen ist, aus meiner Perspektive, wirklich bloss ein Verhindern von Schlimmerem.» Man könnte jetzt wiederum fragen, wie eitel es ist, über diese Art von brüchiger Eitelkeit öffentlich zu reflektieren.
Worüber sie vor lauter Eitelkeitsreflexion dann zu reflektieren versäumen, ist die Eitelkeit dieses Buchprojekts an sich. Die Annahme, dass ihre private Bromance einer grösseren Öffentlichkeit in Buchform gegen Geld präsentiert werden muss.
Sie biegen ab, wenn es schmerzhaft würde
So wie sie versäumen, in die Tiefe zu gehen. Immer genau dann biegen sie ab, wenn es schmerzhaft würde. Martin Suters Frau Margrith Suter starb vor knapp zwei Jahren überraschend, die beiden waren 45 Jahre zusammen. Stuckrad-Barre bezieht zwar angenehm selbstverständlich ihren Namen und ihren Tod mit ins Gespräch ein, und Suter gibt Auskunft, spricht zärtlich und anrührend über sie. Er erzählt von den elendigen Beileidsbekundungen, davon, dass er Billie Eilish nicht mehr hören kann, weil sie die liebte. Und vom Ärger, den er hat, weil er ihr Handy übernehmen möchte, aber ihre Apple-ID nicht kennt und deshalb bei Apple unglaublich umständlich belegen musste, dass sie tot und er ihr Mann ist. Eben all diese brutalen, skurrilen Gleichzeitigkeiten des Trauerns.
Als Suter erzählt, er spreche regelmässig mit seiner Frau, antwortet Stuckrad-Barre: «Bei mir ist das so mit Helmut Dietl. Ich spreche pausenlos mit ihm in Gedanken.» Und, ach ja, seine Asche solle bitteschön «unterm Zitronenbaum am Pool des Chateau Marmont» verstreut werden, jenem Luxushotel in Hollywood, das in seinem Leben eine so grosse Rolle spielt.
Auch Stuckrad-Barres Vater ist in diesem Jahr gestorben, was er offenbar über Umwege erst nach der Beerdigung erfuhr, sein Verhältnis zum Vater, auch das sagt er offen, war schlecht. Das ist bitter zu lesen, vor allem wegen Stuckrad-Barres eigener Bitterkeit. Richtig rein in die Misere trauen sie sich nicht, jede potenzielle Tiefenbohrung wird so nach zwei, drei Umdrehungen aufgelöst, meist mit einem Witz. Humor ist eine hervorragende Coping-Strategie, auch bei Trauer, hier aber die einzige.
Bleibt die Frage, ob das alles lesenswert ist. Sagen wir so: Die beiden Männer haben einander offenbar sehr viel mitzuteilen, sie mögen sich, das ist schön für sie, und zwischendurch sogar unterhaltsam für die Leser. Denn wo viel geredet wird und Stuckrad-Barre gnadenlos eine Pointe nach der anderen rausballert, sitzt auch alle paar Seiten mal eine. Es gibt also Schlimmeres.
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