Der Geograf Jürgen Kuhrdt ist staatlich geprüfter Feuerwerker. Als gebürtiger Ulmer kennt er die Region gut. Vor 35 Jahren hat er die Firma Geomer in Augsburg gegründet und sich auf Kampfmittelräumung spezialisiert. Im Interview spricht er über seine Arbeit, die Gefahren der Kampfmunition und über die richtige Reaktion, wenn man doch mal eine Bombe im Garten findet.
Gibt es Schätzungen, wie viele Bomben noch im Ulmer Untergrund schlummern?
Das kann niemand wissen, höchstens mutmaßen. In Deutschland sind noch weit über 100.000 Tonnen Abwurfmunition verteilt. Ulm hat sogar Großangriffe und unzählige kleinere Angriffe erlebt. Natürlich liegt da noch Munition herum. Schätzungen gehen davon aus, dass zehn bis 15 Prozent der Bomben Blindgänger waren. Wie viele das auf Ulm gerechnet sind, weiß aber niemand.
Glauben Sie, dass die Gefahr von Blindgängern im Boden heute unterschätzt wird? Das klingt nach einer trügerischen Sicherheit.
Es gibt natürlich eine erhöhte Gefahr. Sie können jederzeit Blindgänger finden. Es gibt auch Selbstauslöser, die ohne erkennbaren Grund auslösen. Eine Gefahr besteht in vielen Städten, das muss man einfach sagen. Ich würde diese Gefahr aber auch nicht überschätzen. Ob Sie jetzt jeden Tag auf Ihrem Arbeitsweg an der Bombe vorbeifahren oder nicht, das können Sie nicht wissen. Wer davor Angst hat, der darf nirgendwo unterwegs sein hier in Deutschland.
Dennoch dürfte die Gefahr im Stadtgebiet deutlich größer sein als auf dem Land?
Ja, Bomben sind teuer. Landwirtschaftliche Flächen wurden daher in der Regel nicht bombardiert. Es traf vor allem die Städte, um die Bevölkerung zu demoralisieren, aber auch um die Industrie zu treffen. Allerdings war die Treffergenauigkeit der Bombenschützen in den ersten Kriegsjahren sehr schlecht. Nicht selten wurden sogar die falschen Städte bombardiert. Daher sind die Bomben zahlreicher Luftangriffe weit entfernt vom eigentlichen Ziel niedergegangen, so dass auch landwirtschaftliche Flächen und sogar Wälder bombardiert wurden.
Wie fühlt es sich an, wenn man vor so einer Bombe steht und weiß, man muss die jetzt entschärfen?
Wenn wir eine Bombe finden, wissen wir erstmal, dass wir alles richtig gemacht haben. Auch der Kampfmittelbeseitigungsdienst weiß genau, was er tut. Da braucht man Ruhe. Erstmal muss man genau wissen, welchen Bombentypus man vor sich hat. Ich bin selbst schon neben sehr vielen scharfen Bomben gestanden. Wenn die nicht bewegt werden, passiert in der Regel erst mal nichts. Zumindest nicht bei den üblicherweise verwendeten Aufschlagzündern. Die Entschärfung aber ist immer ein heikler Vorgang. Niemand weiß, in welchem Zustand sich der Zündmechanismus nach etwa 80 Jahren befindet.
Die Entschärfung aber ist immer ein heikler Vorgang. Niemand weiß, in welchem Zustand sich der Zündmechanismus nach etwa 80 Jahren befindet.
Jürgen Kuhrdt
Wenn man hier in Deutschland die Munition der beiden großen Kriege wegräumt und gleichzeitig dabei zusehen muss, dass täglich auf der Welt wieder neue Bomben abgeworfen werden und Menschen sterben, dann ist das mehr als nur frustrierend.
Wie funktioniert das Entschärfen einer Bombe konkret?
Bei standardbezündeten Bomben geht man mittlerweile immer mehr zu einer Fern-Entschärfung über. Da wird zum Beispiel eine Raketenschraube an den Zünder geschraubt. Darin befinden sich 2 St. 2 cm Patronen. Diese werden gezündet und dann dreht es den Zünder mit unglaublich hoher Geschwindigkeit aus der Zünderbuchse heraus, die ganze Vorrichtung fliegt nach draußen. Früher war das Entschärfen noch sehr viel aufwendiger, da wurde oft mit einer Wasserrohrzange der Zünder rausgeschraubt.
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Wie groß ist das Zerstörungspotenzial der Bomben, die heutzutage meist auf den Baustellen gefunden werden?
Das ist schwierig, zu sagen. Es gibt unzählige verschiedene Bombentypen.
Die Bombe in Ulm war etwa 250 Kilogramm schwer, es wurde im Umkreis von 300 Metern evakuiert. Aus Ihrer Sicht die richtige Entscheidung?
Da möchte ich nichts dazu sagen. Der KMBD weiß genau, was er tut. Es ist einfach unmöglich, da eine vernünftige Aussage zu treffen. Das Zerstörungspotenzial hängt immer davon ab, wie weit sich die Druckwelle ausbreiten kann und welche Gebäude rund um die Fundstelle stehen. Eines ist sicher: In der Nähe stehen möchte niemand. Eine Detonation ist furchtbar, unendlich laut und die Druckwelle gewaltig.
Haben Sie schon einmal erlebt, dass eine Entschärfung schiefging?
Nein, ich zum Glück noch nicht. Aber 2010 sind zum Beispiel in Göttingen drei Menschen bei einer Entschärfung ums Leben gekommen. Man weiß, dass die Bomben immer gefährlich sind. Doch bei einer Entschärfung sind Vollprofis am Werk, das geht in aller Regel gut aus. Wenn man doch einmal eine besonders gefährliche Langzeitzünderbombe entdeckt, muss die zur Not auch Mal vor Ort gesprengt werden. In München ist das mal passiert. Den Brandkegel konnte man aus sehr weiter Entfernung sehen. Das ist kein schönes Erlebnis.
Wir sprechen meist vor allem über Bomben, es gibt aber noch sehr viel mehr Munition im Boden …
Ja. natürlich. Wir finden auch wahnsinnig viele Granaten, manchmal auch Minen und Handgranaten. Selbst vom Ersten Weltkrieg finden wir häufig noch Munition.
Was passiert denn mit den Bomben, die entschärft wurden?
Nachdem die Zünder rausgedreht sind, wird die Bombe zum Zerlegebetrieb gebracht und dann normalerweise mit einer großen Metallsäge zerschnitten und in ihre Einzelteile zerlegt. Kleinere Munition wird oft im Ofen verbrannt oder kontrolliert gesprengt. Wo das genau geschieht, möchte ich nicht sagen. Das geht niemanden etwas an.
Bomben oder Munitionsreste kann man theoretisch sogar im eigenen Garten finden. Wie groß ist die Gefahr und wie sollte man im Ernstfall reagieren?
Selbstverständlich könnten auch in privaten Gärten bombardierter Gebiete noch Blindgänger liegen, niemand weiß das. Immer wieder findet man im Oberboden zum Beispiel Stabbrandbomben, die in großer Menge abgeworfen wurden. Sie sehen aus wie ein riesengroßes, sechseckiges Streichholz mit einem alufarbenen Mantel, manche haben einen noch erkennbaren roten Kopf. Wenn Sie Blindgänger finden oder einen entsprechenden Verdacht haben, gilt immer: Finger weg, sofort die Polizei verständigen und die alarmieren dann das Sprengkommando. Fassen Sie niemals Munition an, bewegen Sie nichts und versuchen Sie auch keinesfalls das Material abzutransportieren. Oder gar eigenmächtig zur Polizei zu bringen.
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