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„Früher war es besser“, „anders ist es besser“…: Laut einer umfassenden Umfrage ist Frankreich, ein Land der Paradoxien, auf der Suche nach einem neuen Gesellschaftsmodell

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das Wesentliche
Nostalgie für die Vergangenheit, Pessimismus hinsichtlich der Zukunft und doch … Die neueste Studie von BVA Xsight und der Jean-Jaurès-Stiftung zeichnet ein Hell-Dunkel-Porträt der französischen Gesellschaft. Ein Bild, in dem sich kollektive Müdigkeit, der Wunsch nach sozialen Bindungen und vermeintliche Widersprüche vermischen. Entschlüsselung.

„Früher war es besser.“ Laut der neuesten Studie von BVA Xsight und der Jean-Jaurès-Stiftung, die am Dienstag, dem 3. Dezember, veröffentlicht wurde, summen die Franzosen diesen Refrain im Einklang und zeichnen ein Hell-Dunkel-Porträt der französischen Gesellschaft. Fast 70 % von ihnen glauben, dass das Leben in Frankreich vor 20 Jahren besser war. Ein Gefühl, das besonders stark bei den 35- bis 49-Jährigen (74 %) und Arbeitnehmern (77 %) ausgeprägt ist. Nur die Jugend scheint diesem kollektiven Blues zu entkommen, wobei „nur“ 51 % der 18- bis 24-Jährigen diese deklinistische Vision teilen.

Aber das Unbehagen hört hier nicht auf. Die Franzosen sind davon überzeugt, dass das Gras anderswo in Europa grüner ist. Öffentliche Dienstleistungen, Gesundheitssystem, Bildung … Bei all diesen Themen beurteilen sie die Situation in Frankreich als schlechter als die unserer Nachbarn. Nur Freizeit und digitale Technologie finden in ihren Augen Anklang.

Allgemeines Gefühl der Müdigkeit

Diese düstere Umgebung führt zu einem Gefühl allgemeiner Müdigkeit. Auf die Frage nach ihrem Gemütszustand geben 48 % der Franzosen Müdigkeit an, weit vor Wut oder Frustration. Eine Erschöpfung, die aus einer Gesellschaft in ständiger Beschleunigung zu resultieren scheint, in der die sozialen Bindungen schwächer werden.

Denn hier liegt der Kern des Problems: 58 % der Franzosen glauben, dass die Verbindungen zwischen Nutzern und Beamten in den letzten 20 Jahren schwächer geworden sind. Gleiche Beobachtung für nachbarschaftliche (55 %) oder generationsübergreifende (54 %) Beziehungen. Auch die Familie selbst kann sich diesem wahrgenommenen Zerfall des sozialen Gefüges nicht entziehen.

Aber die Anerkennung eines unbestreitbaren Fortschritts

Paradoxerweise geht diese düstere Vision mit der Erkenntnis eines unbestreitbaren Fortschritts einher. Die Franzosen begrüßen den technischen Fortschritt (76 %), die verbesserte Reisefreundlichkeit (62 %) und den noch besseren Zugang zu Freizeit und Wissen (50 %). Wie lässt sich diese große Kluft zwischen objektivem Fortschritt und subjektivem Pessimismus erklären?

Der Schlüssel könnte in den Spannungen in der französischen Gesellschaft liegen. Einerseits der Wunsch nach maximaler Effizienz, ein Erbe der digitalen Revolution. Auf der anderen Seite das Streben nach mehr Menschlichkeit und Nähe. Die Franzosen wollen alles sofort, bedauern aber gleichzeitig die Entmenschlichung der Dienstleistungen. Sie fordern personalisierte Antworten (84 %) und gleichzeitig sofortige Lösungen (88 %).

Diese widersprüchlichen Anordnungen werden in allen Bereichen beachtet. Beim Thema Gesundheit bedauern 80 % den Zeitmangel für Pflegekräfte, 76 % möchten jedoch nicht in der Arztpraxis warten. Aus Umweltgründen befürworten 86 % kleine Bahnlinien, aber 65 % bevorzugen die Anreise mit dem Auto. Beim Konsum favorisieren 62 % den örtlichen Handel, für 64 % ist der Preis ihr erstes Kaufkriterium.

Eine Gesellschaft, die zwischen zwei Modellen hin- und hergerissen ist

Diese angenommenen Paradoxien offenbaren eine Gesellschaft, die zwischen zwei Modellen hin- und hergerissen ist. Einerseits ein „kundenorientiertes Unternehmen“, effizient, aber körperlos. Auf der anderen Seite eine „verbindliche Gesellschaft“, die sich wieder mit der Menschheit und dem Kollektiv verbindet. Die Franzosen pendeln zwischen diesen beiden Polen und sind sich ihrer eigenen Widersprüche bewusst.

Diese permanente Anspannung erklärt zum Teil die empfundene Müdigkeit. Wir befinden uns mitten auf der Furt, zwischen zwei Gesellschaftsmodellen. Die ständige Anpassung an Veränderungen erschöpft Körper und Geist. Die digitale Technologie hat zwar unbestreitbare Fortschritte gebracht, aber auch zu dieser Entmenschlichung beigetragen: 78 % der Franzosen glauben, dass menschliche Kontakte in den letzten Jahren seltener geworden sind.

Angesichts dieser Beobachtung einer „Gesellschaft der Abwesenheit“ (Abwesenheit von Menschen, von Zeit, von Solidarität) entsteht ein tiefes Streben nach sozialer Bindung. Auf die Frage, was in unserem Land am meisten fehlt, nennen 55 % der Franzosen spontan die Solidarität zwischen den Menschen. Auch die Worte „Nähe“ und „Solidarität“ werden vor allem von den jüngeren Generationen sehr positiv wahrgenommen.

Zwischenspiel der Olympischen Spiele

Die Olympischen Spiele 2024 in Paris boten einen Einblick in diese so begehrte Gesellschaft der Verbindung. Für einige Wochen schuf die zunehmende menschliche Präsenz im öffentlichen Raum eine verzauberte Klammer, wie einen Kontrapunkt zur Gesellschaft der gewohnheitsmäßigen Abwesenheit. Dieses Erlebnis weckte den Wunsch nach Nähe und Solidarität neu.

Es geht jedoch nicht darum, die Errungenschaften der digitalen Technologie, die von 44 % der Franzosen positiv wahrgenommen wird, gänzlich abzulehnen. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, ein gerechtes Gleichgewicht zu finden, indem die traditionellen Akteure sozialer Bindungen rehabilitiert werden: lokale Händler, Apotheker, Postboten, Sozialarbeiter usw.

Ein neues Modell zum Erfinden

Daher muss noch ein neues Gesellschaftsmodell erfunden werden, das die Beiträge der digitalen Technologie und die Notwendigkeit menschlicher Beziehungen vereint. Zwischen Dematerialisierung und Rehumanisierung muss ein Mittelweg gefunden werden, um auf die widersprüchlichen Bestrebungen der Franzosen zu reagieren. Denn wenn die Nostalgie für die Vergangenheit stark ist, lässt der Wunsch, voranzukommen, nicht nach.

Diese Studie offenbart letztlich ein Frankreich auf der Suche nach sich selbst, hin- und hergerissen zwischen seinen Widersprüchen, sich aber seiner Herausforderungen bewusst. Sicherlich eine müde Gesellschaft, die es aber nicht aufgegeben hat, sich neu zu erfinden. Es wird zweifellos ein langer Weg sein, in einer fragmentierten Gesellschaft wieder zusammenzukommen. Aber entsteht nicht gerade in diesem gemeinsamen Streben nach mehr Menschlichkeit paradoxerweise ein neues „Gemeinsames“ für das Frankreich von morgen?

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