Kaleidoskopisches Musikvideo, schimmernde Hemden und bunte Krawatten, eine Küste voller Sonnenuntergänge … und vor allem dieser sich wiederholende Vers, der beim ersten Hören im Ohr bleibt: „Lass uns an den Strand gehen, oh oh oh oh oh“. Der im Juni 1983 erstmals veröffentlichte Titelsong der italienischen Band Righeira enthält alle wesentlichen Zutaten eines sommerlichen Musical-Hits. Abgesehen vielleicht von seiner beunruhigenden postapokalyptischen Prophezeiung.
Hören Sie stattdessen zu.
„Lass uns an den Strand gehen, die Bombe ist explodiert“ (Lass uns an den Strand gehen, die Bombe explodierte)/
Strahlung röstet und schattiert Blau (Geröstete Strahlen und Blautöne)/
Lasst uns an den Strand gehen, alle mit Hüten (Lass uns an den Strand gehen, jeder hat seinen eigenen Hut)/
Der radioaktive Wind zerzaust die Haare (Der radioaktive Wind zerzaust die Haare).
Lass uns an den Strand gehen, endlich ist das Meer sauber (Lass uns an den Strand gehen, endlich ist das Meer gereinigt)/
Kein stinkender Fisch mehr (Kein stinkender Fisch mehr)/
Aber fluoreszierendes Wasser (Aber Wasser ist fluoreszierend).»
Eine Atomröhre
Wir könnten es genauso gut gleich zugeben: Die tiefe Bedeutung der Worte – gesungen auf Spanisch von einem italienischen Duo – entging zweifellos seinem ersten Publikum im Sommer 1983. Unter Sonnenschirmen oder Discokugeln schrien wir diesen legendären Refrain laut an ohne zu viele Fragen zu stellen. „Vamos a la playa“ ist einer dieser klugen und exotischen Hits, die wir sehr zu schätzen wissen, bevor wir sie am Ende des Sommers wegwerfen wie eine alte, mit Sand verkrustete Tube Sonnencreme.
Allerdings sollte „Vamos a la playa“ kein Wegwerflied sein, denn es ist ein entschieden engagierter Titel. Dieses Lied wurde 1981 gemeinsam von Johnson Righeira (richtiger Name Stefano Righi) und dem Produzenten Carmelo La Bionda geschrieben. Die wenigen Texte dieses Lieds beziehen sich auf den schwierigen Kontext des Zweiten Kalten Krieges, einer Phase der Eskalation der amerikanisch-sowjetischen Spannungen zwischen 1975 und 1985.
Gleichzeitig setzen die beiden Supermächte ihre Sammlung von Atomwaffen faktisch blind fort. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan stand der UdSSR, die er nannte, sehr feindselig gegenüber „Das Reich des Bösen“ im März 1983. Sein sowjetischer Amtskollege Juri Andropow reagierte mit einem Aufruf an die US-Diplomatie „Obszönitäten gepaart mit hysterischen Predigten“. Jedes Lager lässt seine Muskeln spielen: Die Zahl der Atomsprengköpfe in den Händen der beiden Supermächte wird auf 50.000 geschätzt, das ist eine Million Mal so viel wie die Feuerkraft, die in Hiroshima freigesetzt wurde.
Im Zentrum des Ost-West-Schachbretts gelegen, zitterte Europa Anfang der 1980er Jahre vor Angst. 1977 stationierten die Sowjets ihre SS-20-Raketen gegen NATO-Streitkräfte. Als Vergeltung installierten die Amerikaner Pershing-II-Raketen im Vereinigten Königreich, in Westdeutschland (BRD) und in den Niederlanden. Im Jahr 1983 stellte Ronald Reagan die Strategic Defense Initiative vor, ein militärisches Verteidigungsprogramm, das den Einsatz eines futuristischen Raketenabwehrschilds vorsah. Der Film Rückkehr der Jedidritter Teil der Saga Star Wars Als das Projekt im selben Jahr erschien, verspottete die Presse das Projekt als „Star Wars“.
Die Hitparaden im Widerstand
Was zu tun? Auf dem alten Kontinent organisiert sich Widerstand. Eine pazifistische Organisation, Nuclear Disarmament in Europe, setzt sich für Frieden und die Entschärfung von Atomsprengköpfen ein und sorgt dafür, dass bewaffnete Konflikte das Ende der Menschheit bedeuten würden. „Wir treten in das gefährlichste Jahrzehnt der Menschheitsgeschichte einversichert die Bewegung in ihrem ersten Bulletin im April 1980. Ein „Dritter Weltkrieg“ ist nicht nur möglich, sondern wird immer wahrscheinlicher.“
Wie so oft in der Geschichte dringt die Angst vor dem Aussterben in die Kulturlandschaft ein. Filme, Romane und erfolgreiche Lieder schildern eine traurige und ausgestorbene Welt voller Strahlung, in der die Menschheit in den rauchenden Ruinen ihrer Zivilisation zugrunde geht. Mehrere Pop-Hits aus den frühen 1980er Jahren vermitteln diese atomare Angst: „We Kill The World“ von Boney M (1981), „99 Luftballons“ von Nena (1983), „Forever Young“ von Alphaville (1984), „Russians“ von Sting (1985) oder „Land of Confusion“ von Genesis (1986).
Stück für Stück, Hit für Hit prangern die europäischen Charts den mörderischen Wahnsinn der Amerikaner und Russen an. In Anlehnung an viele Künstler dieser Zeit greift das Italo-Disco-Duo der Righeira-Brüder dieses heiße Thema auf und bringt zwischen den Zeilen „Vamos a la playa“ ihren diskreten Pazifismus zum Ausdruck. Die diskrete Moral dieses missverstandenen Liedes wird uns zumindest eines gelehrt haben: Singen und Tanzen bedeutet auch, Frieden zu schaffen.