Alte Meister bei Christie’s und Sotheby’s in London

Alte Meister bei Christie’s und Sotheby’s in London
Alte Meister bei Christie’s und Sotheby’s in London
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Einem snobistischen Bonmot zufolge galt Christie’s in London als Auktionshaus für Gentlemen, die vorgeben, Geschäftsleute zu sein, während Sotheby’s als Anlaufstelle für Geschäftsleute charakterisiert wurde, die Gentlemen sein wollen. Die Pauschalisierung lässt sich, zumal mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, mit vielen Gegenbeispielen widerlegen. Zutreffender wäre es, besonders auf dem Altmeistermarkt von seit Langem bestehenden, mitunter sogar historischen Loyalitäten zu sprechen. Diese kommen ins Spiel, wenn Kunstwerke wegen persönlicher Umstände – oft Scheidungen, Erbschaftsteuern oder renovierungsbedürftiger Landsitze – veräußert werden. Mal favorisieren die von Unwägbarkeiten des Lebens Eingeholten die eine Firma, mal die andere.

In der Londoner „Art Week“ dieses Sommers ist Christie’s eindeutig im Vorteil. Am 2. Juli wird das Auktionshaus sein stärkstes Altmeisterangebot seit mehr als zehn Jahren aufrufen. Die Einlieferer von zwei Spitzenwerken der Abendversteigerung mit 27 Losen sind denn auch langjährige adelige Kunden.

Fast 150 Jahren in Familienbesitz

Da ist zum einen der Marquess of Bath, der seinen außerordentlich skurrilen Vater vor vier Jahren beerbt hat. Das Treuhändergremium des in eine Stiftung eingebrachten Familiensitzes, Longleat in Wiltshire, trennt sich nach fast 150 Jahren von Tizians „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“. Die intime Szene mit dem in Gedanken versunkenen Josef und der Jungfrau, die den Kopf zärtlich an die Stirn des an ihrem Haar ziehenden Kindes schmiegt, weist den erst knapp zwanzigjährigen Tizian bereits als Meister des venezianischen Kolorits aus. Die Leinwand ist von einer dritten Partei garantiert. Christie’s lässt sich mit einer Schätzung von 15 bis 25 Millionen Pfund einigen Spielraum.

Kunstkammerstück: Quentin Massys, „Madonna mit den Kirschen“, Öl auf Holz, 75,3 mal 62,9 Zentimeter, Taxe 8 bis 12 Millionen Pfund bei Christie’sChristie´s

Und dann ist da Viscount Cowdray, dem einst die „Financial Times“ und die Penguin-Verlagsgruppe gehörten. Aus seinem ebenfalls treuhänderisch verwalteten Sitz Cowdray Park in Sussex kommt mit einer Taxe von vier bis sechs Millionen Pfund ein auf 1643 datiertes Porträt von Frans Hals, das der Gründer des beträchtlichen Familienvermögens 1919 erwarb. Anhand des bislang falsch gedeuteten Wappens haben jüngste Forschungen den ältlichen Herrn auf dem Gemälde als ein Mitglied der im Haarlemer Tuchhandel tätigen Familie de Wolff identifiziert, die, wie der Künstler, ursprünglich aus Flamen kam.

Nun als Original eingestuft

Ähnlich berührend wie die Mutter-Sohn-Beziehung auf Tizians Jugendwerk ist die verschollen geglaubte niederländisch-leonardeske „Madonna mit den Kirschen“ des flämischen Malers Quentin Massys auf der Höhe seiner Kunst. Von der frühen Wertschätzung für das Bild mit der ihr Kind küssenden Jungfrau zeugt unter anderem Willem van Haechts Kunstkammergemälde, das dramatisch gesteigert den Besuch des Regentenpaars der spanischen Niederlande beim Antwerpener Gewürzhändler und Sammler Cornelis van der Geest im Jahr 1615 zeigt: In dem von oben bis unten mit Meisterwerken behängten Saal lenkt der Gastgeber die Aufmerksamkeit der illustren Runde auf die Kirschenmadonna.

Das Tafelgemälde, das jetzt als Original ausgewiesen angeboten wird, kam bei Christie’s vor neun Jahren schon einmal zum Aufruf. Damals ließen sich die Experten von Übermalungen und der dunkel gefärbten Firnis täuschen. Sie hielten das in zahlreichen Fassungen überlieferte Bild für eine qualitätsvolle Kopie. Auf bis zu 80.000 Pfund bewertet, brachte sie 254.500 ein. Man fragt sich, wie der damalige Einlieferer darauf reagiert, dass die prachtvoll restaurierte Tafel jetzt vom selben Auktionshaus mit bis zu zwölf Millionen Pfund taxiert wird.

Übermalt von Peter Paul Rubens: Herri met de Bles, „Heilige Familie mit Johannes dem Täufer als Kind in einer Landschaft“, Öl auf Eichenholz, 56,9 mal 73,3 Zentimeter, Taxe 600.000 bis 800.000 PfundSotheby´s

Es ist ein kurioser Zufall, dass sowohl Tizians Jugendwerk als auch die wohl um 1520, rund zehn Jahre später, entstandene Madonna aus der letzten Schaffensphase von Massys Gewürzhändlern in Venedig und Antwerpen gehörten, deren Trophäen von zwei verschiedenen Statthaltern der spanischen Niederlande begehrt waren und zudem auf berühmten Kunstkammergemälden dokumentiert sind. Erzherzog Albert und seiner Frau, Infantin Isabella, gelang es nicht, van der Geest dazu zu bewegen, ihnen die Madonna mit dem Kirschenpaar zwischen den spitzen Fingern zu verkaufen.

Wie das im Prado befindliche Gemälde von David Teniers belegt, besaß der einige Jahre später als Regent eingesetzte Erzherzog Ludwig Wilhelm, dessen Sammlung den Kern des Kunsthistorischen Museums in Wien bildet, Tizians „Ruhe auf der Flucht“. Hinzu kommen der Raub durch Napoleon und die Restitution nach dem Wiener Kongress sowie die filmreife Geschichte des Diebstahles der Leinwand aus Longleat im Jahr 1995 – die sieben Jahre später damit endete, dass sie nach einer Lösegeldzahlung in einer Plastiktüte an einer Londoner Bushaltestelle deponiert wurde.

Reichhaltiges Angebot auf Papier

Daneben wirkt das Angebot an Gemälden bei Sotheby’s bescheiden, obwohl vieles von Interesse dabei ist. Tagsüber locken einige vorzügliche Arbeiten auf Papier aus fünf Jahrhunderten, wie ein grotesker Kopf mit Narrenkappe des Barockkünstlers Jusepe de Ribera (bis zu 250.000 Pfund) und eine wunderbar reichhaltige Federzeichnung Maarten van Heemskeercks mit Daniel, der aus der Löwengrube gehoben wird (bis 150.000). In der Abendversteigerung mit 34 Losen ragen sechs auf Leinwand übertragene Fresken Giandomenico Tiepelos mit Taten der Porto-Familie heraus. 2013 erzielten sie bei der Versteigerung des Nachlasses des Arztes Gustav Rau einen Hammerpreis von 2,8 Millionen Pfund. Jetzt sind sie mit bis zu 2,5 Millionen veranschlagt, ein Zeichen der vorsichtigen Schätzungen, mit denen das Auktionshaus Käufer zu ködern hofft.

Im vergangenen Jahr hat sich ein Kunde bei Artcurial in Basel eine Eichenholztafel mit der heiligen Familie in einer Landschaft des Flamen Herri met de Bles knapp 250.000 Franken kosten lassen. Technische Untersuchungen und Forschungen von Sotheby’s haben den Verdacht des Käufers bestätigt, dass Rubens die Figurengruppe im Vordergrund nachgebessert hat, wie er dies nach den Worten eines frühen Biographen zur Beflügelung seines Genies zu tun pflegte. Das Bild trägt eine Taxe von 600.000 bis 800.000 Pfund.

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