„Der Zusammenbruch von Edouard Louis“: der böse Sohn

„Der Zusammenbruch von Edouard Louis“: der böse Sohn
„Der Zusammenbruch von Edouard Louis“: der böse Sohn
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Der Autor von „Ending with Eddy Bellegueule“ ermittelt gegen seinen älteren Bruder.

Er war achtunddreißig Jahre alt. An einem kalten und grauen Morgen erfährt Édouard Louis durch einen Anruf seiner Mutter vom Tod seines Bruders im Alter von achtunddreißig Jahren. Der Mann wurde bewusstlos auf dem Boden seines Ateliers gefunden. Das Krankenhaus bereitet die Trennung von ihm vor. Gleich zu Beginn stellt Édouard Louis fest: Als er die Nachricht vom Tod seines Bruders hört, fühlt er absolut nichts. „Als ich meinen Bruder kennenlernte, lernte ich, ihn zu hassen.“ Ein gewalttätiger, homophober, alkoholischer Typ. Édouard Louis verlässt Paris, um zu seiner Mutter nach Amiens zu ziehen. Dort findet er seine Familie. In „The Collapse“ kehrt der Autor zur Geschichte des ältesten Sohnes zurück, der aus der ersten Ehe seiner Mutter geboren wurde, um zu versuchen, ein Leben zu verstehen, das in Trostlosigkeit und Zerstörung erstarrt ist. Sein Bruder erholte sich nie von der Vernachlässigung seines leiblichen Vaters. Diese Verletzung ist die „Wunde“. Aber es ist nur ein kleiner Teil der Erklärung.

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Die Schlüsselszene. Sein Bruder ist 20 Jahre alt. Er gilt als Versager. Alkohol, Drogen, keine feste Anstellung, Brutalität, Ärger mit dem Gesetz. Eines Tages kommt er zu seiner Familie zurück und zeigt ein Stück laminiertes Papier. Das Blatt soll beweisen, dass er in einer Metzgerei Arbeit gefunden hat. Vor seinem Volk entfalten sich seine Worte: Ausnahmemetzger, Eröffnung eines eigenen Unternehmens, Weitergabe des Berufs, Trophäen, Reisen um die Welt. In unserer Arbeiterklasse lernen wir, unsere Wünsche zu äußern. Er ist dazu nicht in der Lage. Der Vater von Édouard Louis greift nach dem banalen Blatt Papier und bricht nach endlosem Schweigen in lautes Gelächter aus. Der Bruder versichert, dass sich seine „Wunde“ dann vertiefte und sich nie wieder schloss. Es werden sich Arbeitsmöglichkeiten ergeben, wie zum Beispiel das Reparieren von Kathedralen oder das Renovieren von Wohnungen, ohne sich jemals in der Realität zu verankern.

Alles macht süchtig

Was bleibt ihm übrig? Alkohol, Glücksspiel, Drogen, Sex. Alles macht süchtig. Seine Fähigkeit, außerhalb seiner sozialen Klasse zu träumen, wurde zu einer langfristigen existenziellen Belastung. Jedes Mal vor der Wand der Realität. Der Autor von „Ending with Eddy Bellegueule“ (Seuil, 2014) mischt alle Zeiten, seit für seinen älteren Bruder irgendwann die Zeit stehen geblieben ist. Wenn sich die Familie in Amiens befindet, müssen die Bestattungskosten bezahlt werden. Der Erzähler fragt sich: Warum sich für jemanden einsetzen, der Frauen und Tiere schlägt und ihm seinen Hass auf Homosexuelle ins Gesicht spuckt? Der gewalttätige und alkoholsüchtige Bruder hatte jedoch keine Schwierigkeiten zu erklären, dass Frankreich mit seinen Schwarzen, seinen Arabern und all diesen wie Huren gekleideten Mädchen auf den Ruin zusteuerte. Auch da ist der Traum. Er sah sich selbst als Bürgerwehrmann.

Sein wachsamer Stil lässt den Klang des Lebens erklingen. Die Komposition von „The Collapse“, in der einzelne Sätze auf der weißen Seite Möwenschwärmen am blauen Himmel ähneln, zeigt eine andere Geschichte. Können wir von sozialem Determinismus sprechen? Wir sagen uns, dass ein anderer Weg nicht möglich gewesen wäre, auch wenn der Autor Raum für das Flüchtige lässt. Wenn wir über jemanden reden, reden wir über das, was wir nicht wissen. Édouard Louis fragt sich: „Schreibe ich in der Hoffnung, Schmerz zu verursachen?“ Die ersten Sätze beginnen mit der Abwesenheit von Leid und die letzten Worte enden mit der Last der Trauer. Denn inzwischen hat sich ein einziges Leben in seinen Schatten und Lichtern herausgebildet. Unser Urteil hing über den schwarzen Absätzen der Stimmung. In einer Schlussszene von großer Intensität gewinnt Édouard Louis durch seine Mutter Mitgefühl. Er schreibt die Vergangenheit nicht neu, sondern entdeckt die Gegenwart neu. Worte erschließen Gefühle. Die Schrift hat gewonnen.

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„The Collapse“, von Édouard Louis, hrsg. du Seuil, 230 Seiten, 20 Euro.

© DR

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