Keine Fehlzeiten mehr am Arbeitsplatz –
Ist vom ersten Tag an ein ärztliches Attest erforderlich?
Die Zahl der krankheitsbedingten Ausfälle steigt seit Jahren und führt zu Konflikten am Arbeitsplatz. Was Sie wissen müssen, um sie zu vermeiden.
Gepostet heute um 16:23 Uhr.
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Wird die arbeitende Bevölkerung häufiger krank?
Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass krankheits- oder unfallbedingte Ausfälle kontinuierlich zunehmen. Im Jahr 2010 fehlten Vollzeitbeschäftigte durchschnittlich 6,3 Tage pro Jahr. Im vergangenen Jahr lag dieser Wert bei 7,6 Tagen, was einer Steigerung von mehr als 20 % entspricht. Im Jahr 2022 stieg der Durchschnittswert vermutlich pandemiebedingt sogar auf 9,3 Tage.
In einer Umfrage bestätigen acht von zehn großen Erwerbsausfallversicherern diesen Trend. Als Hauptgrund nennen die meisten einen starken Anstieg psychischer Erkrankungen. Helsana etwa gibt an, dass der Anteil der diagnostizierten Fälle mit „psychischen und Verhaltensstörungen“ durchaus unter 8 Prozent liege. Diese Fälle würden jedoch etwa 30 % aller Tagegeldkosten ausmachen.
Bedingungen der Abwesenheit
Manchmal gehen wir wegen Kopfschmerzen nicht zur Arbeit, während andere ihren beruflichen Verpflichtungen trotzdem nachkommen wollen. Laut ärztlichem Attest sollen sie jedoch im Bett bleiben. Daher gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung von Schmerz oder Behinderung.
Das Arbeitsrecht liefert hierzu keine klaren Kriterien. Das Schuldrecht setzt als Abwesenheitsgrund das Fehlen eines Verschuldens voraus. Krankheit oder Unfall gelten bis auf wenige Ausnahmen nie als Verschulden, wie Roger Rudolph, Arbeitsrechtsexperte an der Universität Zürich, erklärt. Eine Ausnahme wäre beispielsweise der Fall, dass eine Person beim Skitourengehen trotz Warnung einen Lawinenhang betritt und verunfallt.
Mit anderen Worten: Es gibt viel Interpretationsspielraum. Wer sich nach einer Krankheit oder einem Unfall so krank fühlt, dass die Arbeit unerträglich erscheint, kann sich krankmelden.
Ärztliches Attest vom ersten Tag an?
Kurze Abwesenheiten seien laut Aussage des Spezialisten selten umstritten. Doch wenn Arbeitnehmer ungewöhnlich oft ihren Arbeitsplatz verlassen und ihr Wochenende regelmäßig durch Krankheitstage am Freitag oder Montag verlängern, können beim Arbeitgeber Zweifel aufkommen.
Einem skeptischen Arbeitgeber stehen jedoch nur begrenzte Druckmittel zur Verfügung. Vor allem müssen die Mitarbeiter bescheinigen, dass sie sich unwohl fühlen. Erbringen sie keinen Krankheitsnachweis, kann der Arbeitgeber von einem guten Gesundheitszustand ausgehen. Dies kann schwerwiegende Folgen bis hin zur Entlassung haben.
Der Nachweis einer Krankheit oder eines Unfalls erfolgt durch das ärztliche Attest. In der Schweiz müssen Arbeitnehmer dieses Dokument ab dem dritten Tag vorlegen. Diese Frist ist jedoch weder im Gesetz noch in der Gerichtspraxis verankert. Ein Unternehmen kann daher ab dem ersten Abwesenheitstag eine Bescheinigung verlangen, wenn weder der Arbeitsvertrag noch die Personalordnung andere Regelungen vorsehen. In Branchen mit Personalmangel oder in den genannten Zweifelsfällen ist das ärztliche Attest ab dem ersten Krankheitstag üblich.
Die Bedeutung der Untersuchung durch den Amtsarzt
Bei Zweifeln über die Arbeitsunfähigkeit können Unternehmen oder Versicherer eine Zweitmeinung eines medizinischen Beraters einholen. Oft geschieht dies ganz automatisch nach Erhalt einer bestimmten Anzahl an Taggeldern, erklärt Luzius Hafen. Als Fachanwalt der Kanzlei Advo5 vertritt er Arbeitnehmer in streitigen Angelegenheiten. Kommt der medizinische Berater zu einem anderen Schluss, kann sich die Situation schnell verschlimmern.
„Ein kranker Mensch ist oft überfordert und wenn sein Arzt ihn nicht unterstützt, ist er verloren“, fügt er hinzu. Im Zweifelsfall steht der medizinische Berater auf der Seite des Klienten und oft stellen völlig unrealistische Genesungsprognosen ein Problem dar. Deshalb ist es durchaus angebracht, ein amtsärztliches Attest kritisch zu hinterfragen.
Wozu dient der Versicherungsschutz?
Viele Unternehmen haben eine Erwerbsausfallversicherung für den Krankheitsfall abgeschlossen. Diese sieht grundsätzlich vor, dass Arbeitnehmer im Krankheitsfall für maximal zwei Jahre 80 % ihres Gehalts erhalten. Ohne dieses Krankentagegeld ist der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr für drei Wochen zur Zahlung des vollen Gehalts verpflichtet. Die Dauer der Gehaltszahlung erhöht sich mit der Dauer des Engagements. Es kann regionale Unterschiede geben.
Bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit dauert es mindestens ein Jahr, häufig zwei bis drei Jahre, bis eine Erwerbsunfähigkeitsrente vorliegt. Aus Sicht des Arbeitnehmers ist eine Taggeldversicherung im Krankheitsfall einem Gehaltserhalt ohne Versicherung vorzuziehen, da sie es ermöglicht, die Abwesenheit über einen längeren Zeitraum bis zum Bezug einer möglichen Rente nachzuholen.
„Aber die Versicherer tun einiges, um zu vermeiden, dass das Gehalt für die gesamte Dauer der zwei Jahre gezahlt wird“, sagt Luzius Hafen. Beispielsweise kann die Versicherung im Kleingedruckten vorsehen, dass die Leistungen früher enden, wenn Sie das Unternehmen verlassen.
Viele Versicherer bieten auch eine persönliche Betreuung an, die beispielsweise eine schnellere Wiedereingliederung oder Umschulung ermöglichen kann. Neben den positiven Aspekten eines solchen Monitorings hat der Experte auch Vorbehalte: „Ich habe schon erlebt, dass jemand auf eine Vergütung im Austausch für ein Coaching verzichten musste, unabhängig vom Krankheitsverlauf.“
Wann ist ein Rücktritt erlaubt?
Es besteht zwar ein Kündigungsschutz bei Krankheit oder Unfall, dieser ist jedoch zeitlich begrenzt. Im ersten Dienstjahr beträgt sie dreißig Tage, vom zweiten bis zum fünften Jahr neunzig Tage und ab dem sechsten Jahr einhundertachtzig Tage. Der Schutz gilt nur bei krankheitsbedingter Abwesenheit. Bei Wiederaufnahme ist eine Entlassung möglich.
In der Praxis kommt es häufig vor, dass Arbeitnehmer nach einer Entlassung erkranken. In diesem Fall bleibt die Kündigung des Arbeitsvertrages gültig, der Termin verschiebt sich jedoch je nach Schutzfrist. Typischerweise wird sie bis zum Ende des laufenden Monats verlängert, wie Roger Rudolph erklärt.
Schließlich kommt es manchmal vor, dass ein Unternehmen einen kranken Mitarbeiter während der Urlaubszeit entlässt. Eine solche Kündigung ist ungültig und muss nach Ablauf der Schutzfrist erneuert werden.
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