Von Olivier Truc bis James Ellroy, über Ian Manook und Michael Connelly erforscht der Thriller weiterhin die Gesellschaft. Der Thriller ist ein eigenständiges literarisches Genre und wird von Jahr zu Jahr größer. Wie jede Auswahl ist auch diese Auswahl notwendigerweise subjektiv und nicht erschöpfend.
„Das erste Rentier“ von Olivier Tipp: Solange es Männer gibt
Ökologie, Ökonomie, Traditionen, Diskriminierung… Olivier Trucs neuestes Buch, Das erste Rentier (Métailié-Ausgaben) ist von großem Ehrgeiz. Der Romanautor zeigt uns hinter der Postkarte. Neben dem Szenenwechsel fängt er den Wahnsinn der Männer ein, die vom unmittelbaren Profit getrieben sind. Die fesselnde Erzählung ermöglicht das Eintauchen in eine ums Überleben kämpfende Bevölkerung. Das Unglück des samischen Volkes, der Rentierzüchter, besteht darin, dass es seltene Erden besitzt, in denen sich die von High-Tech-Unternehmen begehrten Metalle befinden. Und so kommt es, dass in Lappland auf dem Höhepunkt der Rehkitzsaison eine Rentierherde dezimiert wird. Nina Nansen und Klemet Nango, Ermittler der Polizei von Rennes, entdecken nach und nach alle Auswirkungen eines Falles wie kein anderer. Olivier Truc macht uns mit der Figur Anja, der Frau, die sich dem Schicksal verweigert, ein großes Geschenk. Ein brillanter Thriller.
“Das erste Rentier“, Olivier Truc, Métailié-Editionen, 22 Euro
„Die Zauberer“ : James Ellroy mag Marilyn Monroe nicht
James Ellroy ist dieser amerikanische Schriftsteller, der darauf besteht, Hässlichkeit und Dunkelheit in der Schönheit zu sehen. Und Dunkelheit in Licht. Nichts entgeht seiner Skepsis. Noch irgendjemand. In seinem neuesten Roman Die Zauberer (Payot und Rivages), er greift Marilyn Monroe an. Und die Panzerfaust. Dritter Teil des Los Angeles Quintetts (nach Verrat et Der kommende Sturm), Die Zauberer trägt alle Obsessionen seines Autors : Verschwörungen auf allen Ebenen, korrupte, der Politik unterwürfige Polizei, Erpressung, zwielichtige, nützliche und unzugängliche Charaktere, alles in einem von Unschuld verlassenen Land. Es ist der 4. August in Los Angeles. Marilyn Monroe ist gerade in ihrem Haus an einer Überdosis gestorben. Gwen Perloff, eine B-Movie-Schauspielerin, wird unter seltsamen Umständen entführt. Freddy Otash, ein zwielichtiger Charakter, leitet die Ermittlungen. Die Zauberer oder die große Ernüchterung. Signiert von James Ellroy.
„Die Zauberer“, James Ellroy, übersetzt von Sophie Aslanides und Séverine Weiss, Rivages et Payot, 26 Euro
„Ohne den geringsten Zweifel“ von Michael Connelly : das große Wiedersehen
Der Autor von Dichter hat die Regelmäßigkeit eines Metronoms, ein Buch pro Jahr. Und beeindruckende Effizienz. Michael Connelly hat im Laufe seiner Karriere vier liebenswerte Charaktere porträtiert: Inspektor Harry Bosch, seinen Halbbruder Mickey Haller, den Rock’n’Roll-Anwalt, der von seinem Lincoln aus arbeitet, Eleanor Wish, Agentin des FBI, Ex-Frau des LAPD Detektivin und Polizistin Renée Ballard. Von Zeit zu Zeit macht es ihm Spaß, das Komplizen-Duo zusammenzubringen, aber alles trennt sich : der Anwalt und der Polizist. Ohne den geringsten Zweifel(Calmann-Levy) ist ein akribischer Einblick in das amerikanische Justizsystem. Mickey Haller engagiert seinen pensionierten Halbbruder, um bei der Entlastung einer Mutter zu helfen, die beschuldigt wird, ihren Ex-Mann, einen Sheriff-Stellvertreter, getötet zu haben. Harry Bosch muss sich dem Schweigen und der Feindseligkeit seiner ehemaligen Kollegen stellen. Ohne den geringsten Zweifelist auch eine scharfe Kritik an der amerikanischen Gesellschaft.
„Ohne den geringsten Zweifel“, Michael Connelly, übersetzt von Robert Pépin, Calmann-Lévy, 22,90 Euro
„The Lousy Massacre“ von Ian Manook : Träume zu groß
Mit seinem wachen, raffinierten, leicht desillusionierten und nervösen Schreiben entführt Ian Manook den Leser in die 1960er Jahre. Mit einem Sinn für Formeln beschreibt er die vereitelten Ambitionen eines Mannes, der seiner sozialen und geografischen Umgebung entfliehen will. eines Mannes, der zu große Träume für sein HLM hat. In diesem düsteren Initiationsroman, geschrieben in der Ich-Perspektive, Der miese Massaker (herausgegeben von La Manufacture de Livres) greift Ian Manook den sozialen Determinismus an und deckt die Mechanismen der Ausgrenzung auf. “Mein Name ist Sorb, die Abkürzung für Sorbonne. Die Mitglieder der Bande haben mir diesen Spitznamen gegeben, weil sie denken, ich sei gebildeter als sie.. Die Bande hat Spaß, ist laut und gelangweilt. Dann passiert ein Unfall : Eine Frau stirbt wegen eines ihrer eigenen. Der Abstieg in die Hölle beginnt. Fesselnd.
“Der miese Massaker“, Ian Manook, Die Buchfabrik, 18,90 Euro
„Raum 505“: die Mechanik von Viveca Sten
Der schwedische Autor ist ein außergewöhnlicher Geschichtenerzähler. In seinem neuesten Roman Raum 505 (Ausgaben von Albin Michel) installiert es eine doppelte Erzählung, die das Werk süchtig machend macht. Dieses Mal thematisiert Viveca Sten Gewalt gegen Frauen. Die Handlung beginnt mit einem Frauenmord in einem Luxushotel. Das Opfer, eine Geschäftsfrau, wollte gerade ein großes Immobilienprojekt starten. Schweres Verbrechen oder Mord im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen ? Hanna und Daniel, ein wiederkehrendes und sehr liebenswertes Duo, leiten die Ermittlungen. In diesem atmosphärischen Thriller herrscht eine erstickende Atmosphäre. Das Hin und Her zwischen Vergangenheit und Gegenwart verleiht diesem Roman, der die Beziehungen zwischen Männern und Frauen vor und nach #MeToo untersucht, eine besondere Dichte. Der Autor nimmt sich die Zeit, die Charaktere zu entwickeln und scheut sich nicht, ihre Fehler aufzudecken. Macht süchtig.
“Raum 505″ Viveca Sten, Übersetzung von Amanda Postel und Anna Postel, Albin Michel, 21,90 Euro
„Königin in New York“ von Marine Béliard : aus Liebe zu Elva
Am 6. Oktober 1989 änderte sich alles. Joaquin wachte nach einer betrunkenen Nacht in seiner Wohnung auf. Am Telefon erzählt ihm ein ehemaliger Kollege vom Tod von Elva, der legendären Sängerin der New Yorker Gruppe Eine Königin in New York durch Überdosierung. Am Tag zuvor erlitt der Star, der dennoch mit dem Heroinkonsum aufgehört hatte, einen tödlichen Schock. Joaquin und Elva erzählten eine außergewöhnliche Freundschaftsgeschichte. Der ehemalige NYPD-Polizist lehnt diesen Tod ab und leitet seine eigenen Ermittlungen, indem er in die Vergangenheit zurückkehrt, um zu versuchen, es zu verstehen. Mit ihrer fließenden, nervösen Feder lässt uns Marine Béliard in das Amerika der 80er Jahre und die kulturelle Aufregung New Yorks eintauchen. Letzten Mai veröffentlicht, Königin in New York liest sich in einem Rutsch. Was ist aus Freundschaften geworden? ? Und die Träume der Jugend ? Und die Ideale ? Königin in New York, ein wesentlicher düsterer Roman.
„Königin in New York“, Marine Béliard, Payot und Rivages, 21 Euro
„Die Insel“ : die Versuchung Jérôme Loubry
Jérôme Loubry wurde danach mit Spannung erwartet Das Lied der Stille, ein intimer und sozialer Noir-Roman, der Verwandtschaft und die Umwelt hinterfragt. Der Autor kehrt mit einem stimmungsvollen Thriller zurück, Die Insel (Calmann-Lévy), mit atemberaubender Spannung. Der Autor verfeinert mit einem Skalpell die Psychologie der Charaktere, die allesamt komplex sind. Dank eines fast filmischen Drehbuchs entführt uns Jérôme Loubry fünf Jahre nach dem Tod von Diane, einer Musikliebhaberin, die viel zu früh gegangen ist, auf die Insel Porquerolles. Alle Freunde des Opfers sind da. Julien, Dianes Begleiter, will diese Gelegenheit nutzen, um Herzen und Seelen zu erforschen. Die Wahrheit hat einen Preis, oft einen sehr teuren. Auch die Lüge. Was soll ich zu Geheimnissen sagen? ? Tödlich sind die Wiedervereinigungen. Jérôme Loubry bestätigt Buch für Buch, wenn nötig, dass er ein Stift ist, der im französischen Noir-Roman zählt. Beeindruckend.
„Die Insel“, Jérôme Loubry, Calmann-Lévy, 21,90 Euro
„Cartel 1011: The Builders“: der verrückte Ehrgeiz von Mattias Köping
Es beginnt zu streiken : “Zuerst war da nichts.“ Mattias Köping begibt sich auf ein gigantisches Unterfangen : eine Trilogie über den gigantischen Appetit der Kartelle. In diesem ersten Teil Kartell 1011 : Die Baumeister (Gallimard) erzählt von den übertriebenen Ambitionen des Hernandez-Clans und seinen Auswirkungen auf Europa. Wir sind nicht weit vom Atem und der Komplexität entfernt Narcos. Der Autor von Die Dämonen hat Liebe zum Detail, seine Nebencharaktere haben Tiefe. Das Buch, ein 623-seitiges Buch, liest sich wie ein Abenteuerroman, Gewalt durchdringt jede Seite. Im Zeitalter des globalen Dorfes erhält jeder Akt eine internationale Dimension. Durch unmittelbare Profite und die Kriege zwischen Clans um die Kontrolle des gesamten Verkehrs werden Menschenleben zerstört. “Denn niemand baut ein neues Imperium auf, ohne die vorherigen zu zerstören “. Spannend.
“Kartell 1011 : Die Baumeister“Mattias Köping, Flammarion, 23 Euro
„Dieses Königreich ist dunkel“: Raphaël Le Scouarnec schießt
Raphaël Le Scouarnec schreibt in Schüben, er bombardiert seine Leser mit kurzen, nervösen Sätzen, als würde ihm die Zeit davonlaufen. Als ob ein lebenswichtiger Notfall alle Charaktere erfasst hätte. Der Tod ist im Gegensatz zur Hoffnung nie weit weg. Alles geht sehr schnell in dieser Stadt, die in falscher Erstarrung schläft. Die Sonne der Riviera verbirgt kaum Rivalitäten, unersättliche Ambitionen, schwelenden Hass und den Wunsch nach Rache, der von einer lebendigen Erinnerung genährt wird, die das Vergessen in der Gegenwart leugnet. Zwei Familien werden auseinandergerissen, nachdem sie sich lange Zeit sehr nahe standen. Leben werden zerstört, geopfert. In diesem dunklen Reich ist etwas faul. Raphaël Le Scouarnec entführt den Leser mit hoher Geschwindigkeit in das Auge eines Sturms. Schwindlig.
“Dieses Königreich ist dunkel“, Raphaël Le Scouarnec, L’Orpailleur, 22 Euro
„Milo“ von Laurent Combalbert: Am Ende der Spannung
Spionage, organisierte Kriminalität, Geopolitik … Milo ist ein Zug, der mit hoher Geschwindigkeit gestartet ist. Ein Chirurg, Mitglied einer NGO, wird in Port-au-Prince, der zerstörten Hauptstadt Haitis, entführt. Von seiner Freilassung hängt ein wichtiger Prozess ab. Wer sollte einen verzweifelten Versuch unternehmen, sie zu retten? ? Der Unterhändler Stanislas Monville, das Alter Ego des Autors, ist ein Mann, der es normalerweise vermeidet, persönliche und berufliche Angelegenheiten zu vermischen. Normalerweise. Mit einem wachsamen Stift, Laurent Combalbert beschreibt eine weitläufige und komplexe Operation, einen Wettlauf gegen die Zeit, der eines Spionagefilms würdig wäre. Spannung garantiert.
„Milo“, Laurent Combalbert, Calmann-Lévy, 21,50 Euro
