Mit seinem neuen Roman WohlbefindenNathan Hill bestätigt das immense Talent, das in seinem ersten Werk gezeigt wurde, Geister des alten Landes (ausgezeichnet 2017 mit dem Buchhändlerpreis Folio-Télérama). Er nimmt uns mit auf ein beeindruckendes Fresko von fast 700 Seiten, in dem er die Beziehungen eines amerikanischen Mittelschichtpaares von der Jugend bis zum Erwachsenenalter analysiert.
Der Roman beginnt zu Beginn der 1990er Jahre. Jack und Elizabeth, zwei mittellose Studenten, leben mitten in einem benachteiligten, aber trendigen Viertel in Chicago. Sie fühlen sich zueinander hingezogen und spionieren einander von ihrer Wohnung aus aus, da jeder die des anderen sieht. Auf einem Punkkonzert treffen sie sich schließlich: Liebe auf den ersten Blick.
Zwanzig Jahre später ist er kommissarischer Professor für Fotokunst an der Universität. Sie leitet eine psychologische Forschungsorganisation. Sie sind verheiratet und Eltern des kleinen Toby, dessen Erziehung sich nach ihren fortschrittlichen Grundsätzen als schwierig erweist. Auf dem Höhepunkt der Gentrifizierung, die sie in ihrer Jugend so sehr verachteten, kauften sie sich „ihre Wohnung fürs Leben“ ohne Plan.
Der Roman erzählt nicht nur ihre Liebesgeschichte. Er geht scharfsinnig auf viele Themen ein. Darunter zum Beispiel die Frage nach dem Placebo – erweitert auf viele andere Bereiche als den Einsatz als Arzneimittel. Die berühmte französische Theorie – und ihr Konzept der Dekonstruktion –, in der wir sehen, wie sie den Boden für die Bewegung bereitete wachte auf. Ein gescheiterter Versuch der Polyamorie. Ohne Verschwörungstheorien zu vergessen, Algorithmen, die uns zu falschen Gewissheiten drängen, sowie die Art und Weise, wie das virtuelle, ultravernetzte Leben Vorrang vor dem „realen“ Leben haben kann.
Die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Erzählung lässt uns die Kindheit und Jugend der beiden Liebenden entdecken. Die Konstruktion ist makellos, ebenso wie die Tiefe der Analysen und die Feinheit des Stils. All die Überlegungen, die Hill mit schelmischem Verstand anstellt (auf Facebook „Placebo-Liebe“, „Untreue“ beim Paar), verhindern nie, dass sein Roman zutiefst bewegend ist.
Wohlbefinden – Nathan Hill (übersetzt aus dem Englischen (USA) von Nathalie Bru), Editions Gallimard, 688 S., 26 €.
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