Inhaltshinweis: Suizid
Wenn ein Vollmond am Himmel aus dem Gegenzeichen des Skorpions, dem saftigen Stier, alles erleuchtet, was auch nur im Weitesten mit Sinn und Sinnlichkeit zu tun hat, ist das der Moment, um sich mit Leben und Sterben auseinanderzusetzen. Der Stier-Vollmond am 15. November um 22.28 Uhr ist einer der intensivsten des ganzen Jahres.
Der letzte mit Pluto im Steinbock, der letzte Supermond des Jahres 2024 mit glorioser Beteiligung von Freigeist und Revolutionsplanet Uranus, der uns sicher aus den Herrlichkeiten und Wahnvorstellungen unserer Komfortzone schiesst. Und uns herzlich, aber bestimmt einlädt, unsere Limitierungen und destruktiven Verhaltensmuster ein für alle Male loszulassen. Natürlich nicht ohne noch mal so richtig mit ihnen zu tanzen.
Das Ganze auf der mal mehr mal weniger wackligen Bindungsachse Stier-Skorpion, die unsere Werte symbolisiert. Die Achse zwischen Stier und Skorpion steht für das intensive Spannungsfeld zwischen Leben und Tod, Besitz und Loslassen, zwischen dem Bewahren und dem Wandel. Diese Achse verbindet den beständigen Sicherheitsdrang des Stiers mit der Transformationskraft des Skorpions.
Der Stier will Absicherung
Im Zeichen des Stiers sind Werte greif- und fruchtbar und materiell – es geht um Ressourcen. Um das, was uns nährt, stabilisiert und an die Erde bindet. Wir spüren den Wunsch, Dinge festzuhalten, sei es in Form von Besitz, Beziehungen oder moralischen Überzeugungen. Stier will erhalten, pflegen und absichern.
Auf der anderen Seite steht der Skorpion, der weiss, dass wahre Stärke im Loslassen liegt und die Dosis das Gift macht. Er fordert uns heraus, zu erkennen, was tiefer reicht als das Materielle, was durch Transformation Bestand hat. Werte und Bindungen werden im Skorpion auf ihre Echtheit geprüft – was bleibt, wenn die Oberfläche durchbrochen wird und die Masken fallen? Eine von vielen Fragen des Momentums.
Ich habe zum wiederholten Male viele Fragen. An unsere Gesellschaft. An unsere Zukunft. An mich. Meine Moral. Und überhaupt. Wer an dieser Stelle einen Good-Vibes-Text möchte, sollte lieber weiter nach Katzen-Memes scrollen. Was keine schlechte Option ist.
Die Schlupflöcher alter Traumata
Dieser Text kommt von einer Frau, deren Aufgabe es ist, Menschen die Welt aus der Perspektive der Sterne näherzubringen und sich konstant um einen generell hoffnungsvollen, optimistischen Blick bemüht. Aber auch mein Blick hat blinde Flecken und ich bin Überlebende eines massiv-dysfunktionalen Familiensystems in einer zu grossen Teilen wirklich sehr herausfordernden Welt.
Mein Vater hat sich in vor einigen Jahren zur Zeit der Skorpion-Sonne entschieden, sein sehr selbstständiges Leben selbstständig zu beenden, auch weil er für seinen Selbstausdruck keine sicheren Räume hatte. Keine Hilfe annehmen konnte und wollte. Und weil die Zeit eine andere war.
Was für mich zur Folgen hat, dass die Zeit der Skorpion-Sonne mich immer wieder vor gnadenlose Herausforderungen stellt, weil Traumata, wie der Teufel, immer wieder gnadenlose Schlupflöcher finden. Alle Teufel, die grossen, die kleinen, die bunten, die, die sich sehr gut verkleiden und die, von denen man dachte, sie seien für immer erledigt, erwachen lautstark zum Leben, sobald es dunkler wird. Und gerade ist es eben sehr früh dunkel. Was okay ist, zumal zu jedem Überleben Strategien, Techniken und Therapien gehören. Und das nächste Frühjahr aka die nächste Stier-Sonne kommt. So oder so.
Nicht allein mit der Angst
Das Gegenzeichen zum Skorpion ist der Stier, das blühende Leben. Und mir ist völlig klar, dass ich, nur weil wenige Menschen darüber sprechen, nicht allein bin. Nicht allein mit meinen Episoden, nicht allein mit meinem Schmerz, nicht allein mit meinen unbequemen Themen und schon gar nicht allein mit meiner Angst.
Die Skorpion-Sonne hat die Eigenschaft, Dinge ans Licht zu bringen, erzählt von unserem Kampf mit der Vergänglichkeit. Und wenn wir schon über den Teufel reden, müssen wir schon wieder über den Planeten Pluto reden. Im Tarot gehört die Karte des Teufels zum Zeichen Steinbock und symbolisiert die unsichtbaren Fesseln alter Machtstrukturen, die durch Kontrolle und Manipulation unsere Freiheit einschränken. Sie zeigt, wie der Teufel Abhängigkeiten schafft, die scheinbare Sicherheit bieten, aber tiefere Selbstbestimmung behindern.
Gleichzeitig fordert die Karte zur Selbsterkenntnis auf: Wer die Täuschung erkennt, kann sich von diesen alten Strukturen befreien und wahre Freiheit finden. Amen. Besagter Pluto ist noch bis zum 19. November im Steinbock (ich zähle die Stunden), um dann für die nächsten zwei Dekaden im Wassermann zu sein. Und um eine Welt zu erschaffen, die wir heute nur erahnen können. Und die sicher auch nichts für schwache Nerven wird. Aber das sehen wir dann. Jedenfalls: Wenn ein Planet, der Generationen prägt, den Zeitgeist abbildet und für Transformation steht, das Zeichen wechselt, kann das nicht ohne Folgen bleiben. Diese letzten Millimeter sind ein Nadelöhr. Und bei aller Liebe zu allen Zuständen nicht persönlich zu nehmen.
Ab zur Sexparty
Nach einer auf sehr vielen Ebenen sehr emotionalen und ebenso erkenntnisreichen Woche (man sollte Menschen einfach glauben, was sie sagen! Und auf seine Freund:innen hören, wenn man mal wieder die rosa Brille der Verklärung im Darkroom anhat), die mich mehrfach zu eher destruktiven Verhaltensweisen verleitete (der Teufel, er schläft nie!), suchte ich mal wieder nach Liebe an verlorenen Orten. Und gleichzeitig am besten Ort, nämlich Lichtjahre ausserhalb meiner supergemütlichen Komfortzone. An einem Ort, der wohl ausserhalb der Wahrnehmung der meisten Menschen stattfindet. Auf einer Sexparty.
Auf magische Weise und im Morgengrauen war eine Einladung in meiner Mailbox gelandet, die nicht zu ignorieren war. Ich besprach das Für und Wider, das Hin und das Her mit klugen und wachen Frauen, deren Meinung ich sehr schätze. Wir schätzen das Risiko als gering ein, das Lernfeld als gross. Ich trank Kräutertee. Bemerkte die Unruhe, die sich immer breiter machte, gemischt mit klarem Unwohlsein, FOMO und Neugier. Vereinbarte ein Safeword. Brachte alle Familienmitglieder sicher unter. Klebte die Kamera vom Telefon ab.
Menschen, Masken und ihre Monster
Vor meinem inneren Auge erschein eine Art Paradies der freien Liebe, voller Achtsamkeit und zwischenmenschlicher Begegnung, ein Regina-Regenbogen-Rave und Ringelpiez mit Anfassen. Die Realität war wesentlich … dunkler als in meiner Fantasie. Und ich bin in Berlin sozialisiert und kein Kind der Traurigkeit. Und nur heimlich spiessig.
Ich hätte den Dresscode ernster nehmen sollen. So stand ich als sexy, funkelndes Einhorn, in einem Einteiler, der sich glücklicherweise nur schwer hätte ausziehen lassen können (und im Gegensatz zu den Anzügen der anderen keine Löcher an eindeutigen Körperstellen hatte, Safety first!) im gleissenden UV-Licht und leuchtete wie die Freiheitsstatue höchstpersönlich. In einer schwarzen Betonbox voll monotonem Techno, Adrenalin, Testosteron und anderen wesentlich körperfremderen Substanzen inklusive Outfits, die zu grossen Teilen aus nicht mehr als ein paar Lederstreifen, Netzhemden und wenig Raum für Fantasie bestanden.
Haltung ist das Accessoire der Stunde
Menschen, Masken und ihre Monster, an Leinen, auf Knien. Eine freudvolle und ebenso verlorene Freakshow. Ich tat, was ich gut kann: Auf Dancefloors dissoziieren. Das Ganze war so explizit, dass ich mich immer noch frage, ob ich mich nicht einfach im Pay-TV verzappt habe und in einer hübschen Suite in einem hübschen Hotel darauf warte, dass der Room Service mir endlich Pommes bringt. Und ja: Nichts verbindet die Skorpion-Stier-Achse mehr als Sex.
Wir müssen manchmal einen mutigen Blick in unsere Abgründe werfen, um unseren Horizont zu erweitern, Perspektiven finden, um unsere Ausrichtung zu überprüfen. Und unsere Haltung. Haltung ist neben Bondage-Looks das Accessoire der Stunde.
Und genau dabei hilft unser dieser Vollmond, der die ein oder andere, nennen wir es, Überraschung mit sich bringen wird. Und blitzartige Einsichten in die Darkrooms unserer Seele. Ich esse noch ein bisschen Candy. Aus der Tüte. Mit frisch gewaschenen Händen. Und sorge dafür, dass aus Wunden Wunder werden. Und auch nächstes Jahr wieder Blumen blühen.
PS: Ich bin sicher, Papa hätte die Party gefallen.
Der Song zur Mondphase: