«Aussenstehende denken vielleicht, wir seien naiv»: Auf der Suche nach mehr Platz wandert eine Gamser Familie nach Neuseeland aus
Aus einem Scherz wird Realität: Die Familie Bätjer lebt seit einem Jahr in Neuseeland. Hier erzählen sie, wie sie im Land der Kiwis Fuss gefasst haben und was ihre drei Kinder am meisten von der Schweiz vermissen – und ein Neuseeländer ordnet ein.
Die Idee kommt aus dem Nichts. Eines Tages sagt Chris Bätjer nach einem schlechten Arbeitstag zu seiner Frau: «Komm, wir lassen einfach alles liegen und gehen nach Neuseeland.» Er denkt sich dabei nichts weiter, meint es als Scherz.
Doch seine Frau wird hellhörig. Sie weiss kaum etwas über dieses Land und beginnt zu recherchieren. Das geschieht im Jahr 2014, als Abish Bätjer gerade schwanger ist. «Und dann habe ich Chris knapp zehn Jahre lang mit dieser Idee bearbeitet», sagt sie und grinst. Chris Bätjer sagt: «Sie hat sich immer mehr reingesteigert, und unsere Pläne wurden immer konkreter.»
Nun ist die fünfköpfige Familie aus Gams, die am Samstagabend in der SRF Sendung «Auf und davon» zu sehen sein wird, bereits seit einem Jahr auf der anderen Seite der Erdkugel. Erst seit sechs Monaten wohnen sie wieder in einem Haus. Bei ihrer Abreise hatten Bätjers lediglich sechs Tage in einem Airbnb gebucht. In dieser Zeit organisierten sie ein Wohnmobil, in welchem sie mit ihren drei Kindern monatelang durch Neuseeland reisten. «Wir mussten ja erst einmal das Land kennenlernen und ein Fleckchen finden, das uns gefällt.»
Im neuen Zuhause wartet eine blökende Überraschung
Nach einem halben Jahr des Nomaden-Daseins finden die Bätjers dieses Fleckchen in Christchurch. Dort mieten sie ein Haus mit vier Hektaren Land. Abish Bätjer will unbedingt Tiere und kauft sich zwei trächtige Schafe, jetzt, wo die Familie wieder sesshaft wird.
Bei ihrem Einzug stellen sie fest: Da stehen schon 30 Schafe auf dem Grundstück. Das Ehepaar vermutet: «Vielleicht gehört das hier einfach zu einem Haus auf dem Land dazu.» Unterdessen sind nochmals 17 Lämmer dazugekommen.
Die Frage, ob Schafe in Neuseeland automatisch zu einem Haus auf dem Land dazugehören, kann Harley Williams beantworten. Er ist in Neuseeland aufgewachsen und vor 15 Jahren für seine Schweizer Freundin – und jetzige Frau – nach Gossau gekommen. Als ihm die Geschichte erzählt wird, muss er lachen: «So was habe ich noch nie gehört.» Es sei keineswegs der Fall, dass Schafe standardmässig dazugehören. Seine Theorie: «Ich glaube, der Vermieter wollte einfach seine Tiere loswerden und sah eine Gelegenheit.»
Er reiste seiner grossen Liebe nach
Der 42-jährige Harley Williams lernte 2008 im neuseeländischen Auckland eine Schweizerin kennen. Sie verliebten sich sofort ineinander. Als die Brauerei, in der Williams arbeitete, von der globalen Rezession getroffen wurde, ergriff Williams die Gelegenheit und reiste seiner Schweizer Liebe nach. Er musste die deutsche Sprache von Grund auf lernen und auch beruflich neu starten. Mittlerweile sind die beiden verheiratet, haben drei Kinder und wohnen in Gossau. (viv)
Wie Williams ist auch Abish Bätjer ursprünglich in die Schweiz eingewandert. Als Kind zog sie mit ihren Eltern von Belgien nach Wildhaus. Doch ihre Familie war nicht gerade begeistert über ihr nächstes Auswanderer-Projekt. Die 31-Jährige sagt: «Von aussen denken bestimmt viele, dass wir naiv sind, uns mit drei Kindern auf diese Ungewissheit einzulassen.» Solche Rückmeldungen kamen auch aus ihrer Verwandtschaft. Die Vollzeitmutter und gelernte Kosmetikerin sagt scherzhaft: «Ich glaube, mein Vater hat mir bis heute nicht verziehen, dass ich ans andere Ende der Welt gezogen bin.»
Mehr Platz für die spontanen Gamser
Der gelernte Polymechaniker und heute im Quality Management tätige Chris Bätjer sagt: «Wir waren sehr glücklich im wunderschönen Gams – aber die Freiheit und der Platz haben uns gefehlt.» In Christchurch fühlen sich Bätjers unter ihresgleichen, denn sie seien spontane Menschen, die die Dinge nehmen, wie sie kommen. Zudem sei der Ortsname Programm: Abish und Chris Bätjer waren überrascht, wie gross das christliche Angebot in der Gegend ist. Als Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage konnten Sie sogar aus zwei Kirchen ihrer Gemeinden wählen – ein wichtiger Schritt für sie, um sich heimelig zu fühlen.
Der eingebürgerte Neuseeländer Harley Williams ergänzt: «Es ist eine Stärke von Neuseeland, dass alle möglichen Religionen friedlich miteinander leben, ohne dass eine die andere dominiert. Der Monotheismus in der Schweiz war mir dafür anfangs sehr fremd.»
Beim Stichwort Spontanität lächelt Williams und sagt: «Wir müssen spontan sein, das Wetter zwingt uns dazu.» Die beiden Pazifik-Inseln seien extremen Wetterverhältnissen ausgesetzt, mit rapiden Umschwüngen. «In der Schweiz macht man sechs Monate zuvor einen Termin ab, wenn man mit Freunden grillieren will. Aber in Neuseeland musst du alles stehen und liegen lassen, wenn gerade einmal Grillwetter herrscht.»
Für den Gossauer Kiwi ist der Platz auch ein starker Heimweh-Faktor. Zwar liebt er es, in der Schweiz zu wandern. Aber: «Hier wartet ja an jeder Ecke eine SAC-Hütte.» In Neuseeland gehe er nie ohne Feuerholz, Regenjacke, Seil und Notfallausstattung wandern. «Du kannst dort tagelang durch die Wildnis wandern, fernab der Zivilisation.» Das schlage sich auch in einem anderen Aspekt nieder: «Wenn du ein Gespräch führst mit einem Neuseeländer, dann hält man normalerweise einen Abstand von ein bis zwei Metern. Schweizer kommen einem viel näher.» Daran musste sich Williams gewöhnen.
Seit sechs Monaten im neuseeländischen Alltag
Auch Bätjers haben in Neuseeland Umstände vorgefunden, die für sie gewöhnungsbedürftig sind. So musste Abish Bätjer leer schlucken, als sie zum ersten Mal im Supermarkt stand: «Die Lebensmittelpreise sind sehr hoch bei niedrigerem Lohnniveau. Ausserdem gibt es weniger Auswahl an Produkten als in der Schweiz, und einiges ist sehr künstlich.» Den Kindern würden vor allem der Volg und die Migros fehlen. Das habe auch schon zu Verzweiflung im fremden Supermarkt geführt.
Doch die Familie hatte erst sechs Monate um im neuseeländischen Alltag anzukommen. Sie sind sich noch am Eingewöhnen. Nebst dem vielen Platz, den die junge Familie so schätzt, gefällt ihnen jetzt schon die neuseeländische Art. Der 37-jährige Chris Bätjer sagt: «In Neuseeland sieht man vieles nicht so eng, was uns sehr zusagt.» Im Fokus stehe mehr das Menschliche, weniger das Sachliche. Ein weitverbreitetes Motto laute: «It is what it is.»
Williams ergänzt: «Wenn du ein Fremder bist in Neuseeland, dann wollen alle deine Geschichte hören.» Die Leute seien sehr offen und humorvoll, das Land kulturell äusserst vielfältig. «Wenn man so abgelegen lebt, dass man regelmässig auf den Weltkarten vergessen wird, dann ist man darauf angewiesen, dass Leute vorbeikommen.»
Anders habe Williams das in der Schweiz erlebt, wo er sich als Ausländer nicht wertgeschätzt gefühlt habe. Williams erklärt sich das so: «Die Schweiz hat das umgekehrte Problem: Überall stösst man gleich an Grenzen mit grösseren Ländern. Man muss seine Nationalität besser verteidigen und ist gezwungenermassen etwas verschlossener.»
Das Fondue gibt es trotz hoher Temperaturen
Williams hat sich voll eingelebt in der Schweiz. Nur etwas müssen seine Eltern ihm immer noch regelmässig von Neuseeland senden: neuseeländische Marmite, eine Würzpaste. Und auch die Familie Bätjer, die noch am Ankommen ist, weiss schon, welche Schweizer Tradition unverhandelbar für sie ist: «An Weihnachten gibt es Fondue.» Dieses essen sie stur an Heiligabend – am Strand und bei 30 Grad.
«Auf und davon» läuft am Samstagabend, um 20.10 Uhr auf SRF 1.
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