Corona-Themenabend in der ARD: Nach der Dokumentation „Hirschhausen und der lange Schatten von Corona“ trat der titelgebende Wissenschaftsjournalist zur Frage „Was hat die Pandemie mit uns gemacht?“ bei „Hart aber Fair“ auf. Als weitere Gäste begrüßte Moderator Louis Klamroth den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Journalisten Heribert Prantl, die Medizinethikerin Alena Buyx, den Epidemiologen Klaus Stöhr, die Psychologin Melanie Eckert sowie Elena Lierck, Gründerin des Vereins „NichtGenesenKids e.V.“, deren Tochter an Long Covid leidet.
Eckart von Hirschhausen warf ein Licht auf die Jugendlichen, denen durch die Pandemie „ganz viele Resilienzfaktoren“ fehlten. In der vulnerablen Phase der Jugend hätten Essstörungen, Bewegungsmangel und Internetabhängigkeit zugenommen.
Als weitere Geschädigte benannte er Wissenschaftler, die mit öffentlichem Hass bedacht worden seien. Parallel zur Pandemie habe eine „Infodemie“ stattgefunden. So habe sich „wirklich gefährlicher Unsinn“ über Videos millionenfach im Netz verbreitet. Von ihm selbst kursierten mit künstlicher Intelligenz gefertigte Falschaussagen, die er nicht entfernt bekomme.
Heribert Prantl konstatierte, dass nach wie vor eine „postcoronale Tristesse“ sowie „die Nachwirkungen eines inquisitorischen Klimas“ zu spüren seien. „Es mussten im Prinzip alle Grundrechte beiseite springen, wenn behauptet wurde, dass bestimmte Maßnahmen dem Lebensschutz dienen“, beanstandete der Publizist. Selbst der heutige „Noch-Bundeskanzler“ Scholz habe damals erklärt, es dürfe bei der Bewältigung der Infektionskrankheit „keine roten Linien“ geben.
„Das geht in einem Rechtsstaat nicht“, bemängelte der „Süddeutsche“-Journalist rückblickend. Zur Feier des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes hätte er sich dieses Frühjahr die Aufarbeitung der Pandemie als Geschenk gewünscht. Er sei „zornig“, dass diese bislang ausbleibe.
Beispielloser Verrat
„Wir haben diskutiert und abgewogen“, widersprach Karl Lauterbach den Vorwürfen. „Die Grundrechte sind immer mitdiskutiert worden.“ Jedem Beteiligten hätten Einschränkungen „sehr wehgetan“. Dennoch schulde es die kommende Bundesregierung der Bevölkerung, die Coronapandemie aufzuarbeiten, forderte der SPD-Politiker. Er selbst habe sich „sehr intensiv“ dafür eingesetzt, doch sei an der kompromisslosen FDP gescheitert.
Mit dem einstigen Koalitionspartner ging er nach den jüngsten Zeit-Recherchen generell hart ins Gericht. Es sei ein „beispielloser Verrat“, der zeige, dass „man mit so einer Partei nicht regieren sollte“, urteilte er. „Ich könnte damit leben, wenn die FDP es nicht schaffen würde, in den Bundestag zu kommen.“
Lauterbach: „Mein Ton war drüber“
Kleinlaut blickte Lauterbach hingegen zurück auf die Debatte zur Impfpflicht und dem damit verbundenen Druck auf Ungeimpfte. Sein Ton in den damaligen Bundestagsdebatten sei „drüber“ und „nicht optimal“ gewesen, räumte er ein. Ihm sei es darum gegangen, die Ungeimpften „vor ihrem eigenen Unheil zu schützen“. Grundsätzlich sei die Diskussion um die Impfpflicht „würdig und unproblematisch“ verlaufen, doch im Nachhinein wäre ein solcher Zwang nicht nötig gewesen, bekannte der Bundesgesundheitsminister. „Es war damals ganz klar die richtige Entscheidung, dass die Impfpflicht abgelehnt wurde.“
Auch zum Umgang mit Minderjährigen übte Lauterbach Selbstkritik. „Wir haben die Kinder relativ hart herangenommen“, gestand er ein, „haben aber in den Betrieben zum Teil noch viel zugelassen.“ Die Produktion sei als wichtiger aufgefasst worden als die Bildung. Zugleich verteidigte er die zeitweise Schließung der Schulen. „Wenn wir die Schulen durchgehend aufgehabt hätten, hätten wir doch viel mehr Kinder mit Long Covid“, gab der SPD-Politiker zu Bedenken. Als Beispiel für die langfristigen Folgen einer Coronainfektion führte Louis Klamroth die Tochter von Elena Lierck auf, die er beide in Dresden besucht hatte. Sie skizzierte die Krankengeschichte ihres Kindes bis zur Diagnose Long Covid und ME/CFS nach.
Eine Million Menschen litten hierzulande an Long Covid, 90.000 Kinder an ME/CFS. Ihre Tochter könne seit über einem Jahr nun nicht mehr laufen, schilderte Lierck. Alle anderen leben ihr Leben weiter, während ihr Kind wie „lebendig begraben“ sei. Dennoch habe es anfangs die „Tendenz zur Psychosomatisierung“ gegeben. Ihrer Tochter sei also unterstellt worden, sich die Krankheit einzubilden, unter den familiären Umständen zu leiden oder schlicht keine Lust auf Schule zu haben.
Ob sie noch mit einer Genesung rechne? „Die Hoffnung schwindet tatsächlich jeden Tag, weil ich sehe wie sich ihr Zustand mit jedem Jahr verschlechtert.“ Lauterbach sprach ihr hingegen Mut zu: „Ich glaube, dass wir dort eine Heilung hinbekommen werden.“
„Wir müssen auf Jahre hinaus aufarbeiten und lernen“, forderte Alena Buyx angesichts der verschiedenen Aspekte der Pandemie, die in der Sendung zur Sprache gekommen waren. Diese finde bereits substanziell statt, wie etwa die NRW-Enquetekommission zeige.
Die Medizinethikerin warb wiederholt für ein positiveres Resümee. In den Kitas, den Unternehmen oder den Krankenhäusern seien Menschen zu Höchstleistungen aufgelaufen. Die Bewältigung sei eine „unglaubliche gesellschaftliche Leistung“ gewesen, unterstrich die frühere Vorsitzende des Ethikrats. „Es ist wirklich wichtig, dass wir nach vorne gucken und sehr viel stärker in den Blick nehmen, was wir Positives gewinnen können aus dieser fürchterlichen Zeit.“