Großes Theater ums Angela Merkels Buch: Auch im Rückblick: kein Fehler! | Politik

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Es ist nicht mehr die ganz große Welt- aber doch die Hauptbühne im Deutschen Theater Berlin: Altkanzlerin Angela Merkel (70) lässt sich an diesem Dienstagabend vor 600 Gästen von Ex-Talkmasterin Anne Will (58) zu ihrem Lebensbuch „Freiheit“ befragen.

Merkel hatte im Juni vor zwei Jahren auf dieser Bühne angekündigt, sie wolle nur noch Wohlfühl-Termine machen. Will fängt auch so an: mit der Verkaufe, das Merkel-Buch sei „irrsinnig präzise“, „total fleißig“ gearbeitet.

Frage an die Altkanzlerin als Buchautorin: „Wer wollen Sie gewesen sein?“

Merkel berichtet, wie sie über Jahre nach der Wende damit beschäftigt war, sich zurechtzufinden, das neue Leben zu lernen.

Sie berichtet von „Tagen auf der Kante“ in der DDR. Vom ständigen Abschätzen, wo der Staat die Grenzen heute zog. Von staatlicher Willkür, Sippenhaft und davon, wie diese Diktatur „keinerlei“ einklagbare Recht für den Einzelnen zuließ. Sie berichtet, wie sie in der DDR zwangsläufig gelernt hat, eine öffentliche Rolle zu spielen, um nicht ins Mahlwerk zugeraten. 70 Jahre ist sie, 35 davon in der DDR, 35 im geeinten Deutschland. Sie erzählt rührend von den Freiräumen, die die Mutter geschaffen habe.

Talkmasterin Anne Will (58) mit Altkanzlerin Angela Merkel (70, CDU) auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin

Foto: Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa

Was klar wird: Ihre Lebensumstände formten Merkel schon früh zu dem Kompromiss, zu dem sie dann auch ganz Politik-Deutschland machte.

Merkel plaudert über den Moment, als sie erstmals als erste Frau auf dem Kanzler-Platz auf der Regierungsbank im Bundestag Platz nahm: „Ein heiterer Moment“, den man sich ja auch „mal gönnen kann“. Das Publikum lacht dankbar.

Mächtiger Rahmen für ihre Buchlesung: Merkel im Deutschen Theater (Berlin)

Foto: Getty Images

Sie reden über Friedrich Merz, der ihr damals beigestanden habe. Merkel: „Das war ein Problem von Anfang an“ – beide wollten die Macht. Bis heute zeige sich, Merz habe „den unbedingten Willen zur Macht – deshalb gönne ich es ihm“.

CDU-Chef Friedrich Merz und Angela Merkel im September 2024

CDU-Chef Friedrich Merz und Angela Merkel im September 2024

Foto: Kay Nietfeld/dpa

Ab da wird es zusehends unkommod für Merkel: Will fragt nach der AfD. Die habe sich, so Will, gegen Merkels Euro-Kurs gegründet und sei wegen Merkels Flüchtlingspolitik gewachsen.

Will: „Werfen Sie sich deren Aufstieg vor?“

Merkel: „Nicht in dem Sinn, dass ich sage, die Entscheidung war damals falsch. Die Tatsache, dass so viele Menschen zu uns kamen, hat sie größer werden lassen.“

Fazit: Merkel sieht ihre Flüchtlingspolitik auch im Rückblick für sich als alternativlos an. Der Aufstieg der AfD demnach: einer der Preise dafür, das Richtige getan zu haben.

Angela Merkel und Wladimir Putin im Jahr 2021 – kurz bevor er die Ukraine überfiel

Angela Merkel und Wladimir Putin im Jahr 2021 – kurz bevor er die Ukraine überfiel

Foto: ALEXANDER ZEMLIANICHENKO/AFP

Dann steuert der Abend auf seinen Höhepunkt zu: Russland, Putin, Nord Stream, Ukraine-Krieg!

Ihre Russland-Politik gilt als gescheitert. Merkel sagt an diesem Abend: „Dass wir eine Situation haben, wie wir sie heute haben, das hätte ich gern verhindert.“

Will fragt, ob sie dem Kreml-Führer denn zugetraut habe, die gesamte Ukraine zu überfallen. Merkel antwortet nicht direkt: Sie preist den „großen Mut Präsident Selenskyjs, damals nicht das Land verlassen zu haben“. Putin habe „seine Kräfte vollkommen überschätzt“, lege aber eine „wilde und brutale Entschlossenheit an den Tag“. Sie „glaube und sehe nicht“, dass die Ukraine den Krieg verliere.

Bei „Nord Stream 2“ wird Merkel bockig

Und dann wird sie bockig.

Es geht um die Russen-Gas-Röhre „Nord Stream 2“. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ihr damaliger Außenminister, habe doch schon zugegeben, dass das Festhalten an der Kreml-Pipeline ein Fehler war, so Will. Merkel aber besteht darauf, die Entscheidung aus der damaligen Sicht zu beurteilen.

Wieder wird klar: Sie ist an entscheidenden Stellen nicht bereit, die Perspektive zu wechseln. Dem Urteil der Geschichte mag sie sich nicht einfach stellen. Es sei schließlich um billiges Gas für die deutsche Wirtschaft gegangen.

Will fragt nach: „Das heißt, Sie bereuen nichts?“ Und weiter: „Sie haben doch gesehen, wie sich Putin radikalisiert“, in seine „eigene Wirklichkeit“ abdriftet. Hätte all das dann nicht dazu führen müssen, Nord Stream 2 zu verhindern, fragt Will. Merkel schwimmt hörbar, sagt: „Ich halte es auch im Rückblick für keinen Fehler.“

Alternativlos eben …

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