An diesem Mittwoch stellt sich Olaf Scholz den Fragen der Parlamentarier. Auf die wirklich drängenden Antworten wird das Land vermutlich vergeblich warten. Ein kleiner Überblick.
Sie lesen einen Auszug aus dem neuen Newsletter «Der andere Blick am Morgen», heute von Beatrice Achterberg, Redaktorin der NZZ Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Haben Sie für die Mittagszeit schon etwas geplant? Falls nicht, hätte ich einen Vorschlag: An diesem Mittwoch um 13 Uhr stellt sich Kanzler Olaf Scholz den Fragen der Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Während es im Hohen Haus sonst mitunter etwas dröge zugeht, gleichen Regierungsbefragungen eher einer «offenen Feldschlacht» – wie es manche bei der FDP sagen würden.
Für die Befragung gibt es einige Spielregeln: Sowohl die Parlamentarier als auch der befragte Bundeskanzler müssen sich kurzfassen, und pro Frage ist nur eine Nachfrage erlaubt. Das Themenspektrum ist breit: Von den Fachbereichen der Abgeordneten bis hin zu Nischenangelegenheiten wie der Verlängerung des Deutschlandtickets ist alles denkbar. Für Scholz ist es die dritte Befragung in diesem Jahr und aller Voraussicht nach auch seine letzte.
Seitdem hat der Kanzler, der sich stets damit rühmte, alles im Griff zu haben, seine Mehrheit im Bundestag verloren. Die Liberalen haben die Ampelkoalition mehr oder weniger freiwillig verlassen, zurück bleibt eine rot-grüne Minderheitsregierung. Für Scholz, der bereits jetzt als ein Gescheiterter gilt, dürfte der Gang zum Rednerpult alles andere als leicht werden. Mit zu viel Ehrlichkeit ist nicht zu rechnen.
Dabei gibt es viele Fragen, auf die das Land eine Antwort verdient hätte. Fragen zu den Kernaufgaben der Regierung: Wie will Scholz verhindern, dass, wie im Fall von VW, noch mehr Arbeitsplätze in Gefahr geraten? Und könnte die schleichende Deindustrialisierung Deutschlands auch mit der «Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft» zu tun haben, die Scholz’ Koalition sich einst auf die Fahne schrieb?
Scholz: Meister nichtssagender Kommunikation
Auch die innere Sicherheit betrifft in erster Linie den Regierungschef (und nur in zweiter seine SPD-Parteikollegin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser): Kann Scholz bei 15 000 Abschiebungen in diesem Jahr wirklich von «im grossen Stil abschieben» sprechen, wenn es mehr als 240 000 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland gibt? Würde er mit einem Polizisten tauschen wollen, der das Messerverbot auf Weihnachtsmärkten durchsetzen muss?
Bleiben noch zahlreiche Fragen, die sich darüber hinaus stellen: Plagte Scholz ein schlechtes Gewissen, als er neben Selenski posierte, während in Deutschland der Wahlkampf mit dem Image des «Friedenskanzlers» Fahrt aufnimmt? Bereut er es bereits, sich im amerikanischen Wahlkampf so eindeutig auf die Seite der demokratischen Kandidatin Kamala Harris geschlagen zu haben – jetzt, da im Januar der Republikaner Donald Trump abermals ins Weisse Haus einziehen wird? Freut er sich insgeheim, dass der SPD-Spin von der FDP als «Ampel-Killer» in vielen deutschen Medien so gut verfängt?
Und was hat er eigentlich kurz vor dem Platzen der Koalition in der Regierungsmaschine von Heilbronn nach Berlin mit Volker Wissing besprochen – dem einzigen Minister, der nach der Entlassung des FDP-Chefs im Kabinett verblieben ist?
Zur Lage der Nation liesse sich viel sagen. Doch Olaf Scholz ist als Meister der nichtssagenden Kommunikation bekannt, an dem die schärfsten Vorwürfe abperlen wie Wasser von einer Teflonpfanne. Aber wer weiss, vielleicht wagt der Kanzler etwas völlig Neues: Ehrlichkeit. Es ist schliesslich Wahlkampf.