Die Magie der Zahlen, sie wirkte auch auf dieser Weltklimakonferenz. Die Zahl 1,5, der maximal zulässige Temperaturanstieg bis zum Jahrhundertende in Grad Celsius, ist seit der Klimakonferenz von Paris 2015 – der Magna Charta für die Weltenrettung – zur bekanntesten Chiffre für den Klimaschutz geworden. Jetzt in Baku, während der COP29 genannten Veranstaltung, spielte die Drei eine entscheidende Rolle.
2023 in Dubai habe man die Verdreifachung der erneuerbaren Energien beschlossen, erinnerte der Exekutivsekretär der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), Simon Stiell. „Hier auf der COP29 haben wir die Klimafinanzierung verdreifacht, und die Länder werden daran arbeiten, noch viel, viel mehr Geld zu mobilisieren“, so Stiell nach dem hart umkämpften Kompromiss zu den künftigen Finanzströmen aus den Industriestaaten in die Entwicklungsländer.
Zuvor waren die Gespräche der Delegierten aus den fast 200 UN-Mitgliedstaaten so festgefahren gewesen, dass die Tagung um anderthalb Tage verlängert werden musste. Erst nach zwei durchverhandelten Nächten konnte sie gegen fünf Uhr am Sonntagfrüh beendet werden – obwohl man seit zwei Wochen zusammengesessen hatte und obwohl die Treffen seit Monaten vorbereitet worden waren.
Die von Stiell genannte Verdreifachung der Geldsumme bezog sich auf den wichtigsten Konferenzbeschluss zu einer Neuordnung der Klimafinanzierung: Bis zum Jahr 2035 soll die Unterstützung der Entwicklungsländer für Projekte zur Treibhausgasminderung, zur Klimaanpassung und zur Beseitigung klimabedingter Verluste und Schäden auf 300 Milliarden Dollar im Jahr anwachsen. Bisher sind es 100 Milliarden Dollar.
Zweifel an der Verlässlichkeit
Stiell, dessen UNFCCC mit Sitz in Bonn der Ausrichter der Klimakonferenzen ist, sagte: „Das neue Finanzziel ist eine Versicherungspolice für die Menschheit inmitten schlimmer werdender Klimaauswirkungen, die alle Länder treffen. Aber wie jeder Versicherungsvertrag funktioniert er nur, wenn die Prämien vollständig und pünktlich gezahlt werden, Versprechen müssen eingehalten werden, um Milliarden von Menschenleben zu schützen.“
Obgleich Stiell die Ergebnisse im Grunde lobte, meldete er also auch Zweifel an die Verlässlichkeit an. Zuvor hatte schon Generalsekretär António Guterres erklärt, die COP29 stehe am Ende eines brutalen Jahres, das von Rekordtemperaturen und Klimakatastrophen gezeichnet gewesen sei, während die Emissionen weiter stiegen. Das Thema Finanzen sei in Baku Priorität gewesen, so der UN-Chef, der die widerstreitenden Verhandlungspartner mehrmals persönlich ins Gebet genommen hatte, um zu einer Verständigung zu gelangen.
Die hochverschuldeten, von Katastrophen heimgesuchten Entwicklungsländer, die in der „Revolution der erneuerbaren Energien“ zurückgebliebenen seien, brauchten jetzt dringend frische Mittel. „Ich hatte auf ein ehrgeizigeres Ergebnis gehofft, sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Treibhausgasminderung“, gestand Guterres etwas enttäuscht ein. „Aber diese Vereinbarung bietet eine Grundlage, auf der wir aufbauen können.“ Eine Einigung auf der COP29 sei unverzichtbar gewesen, um das 1,5-Grad-Limit am Leben zu erhalten, „und die Länder haben geliefert“, sagte Guterres.
Viele Teilnehmer und Beobachter sehen, wie es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Sonntagfrüh in Baku ausdrückte, die Ergebnisse „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Vor allem die Entwicklungsländer und die für den Klimawandel besonders anfälligen Inselstaaten – die nicht alle arm sind – zeigten sich von „Baku“ enttäuscht. Zwischenzeitlich hatten sie die Gespräche verlassen.
Fast wäre der Text zur Klimafinanzierung dann noch an Indien gescheitert, das sich zum Anwalt für höhere Summen machte – aber wohl auch fürchtete, künftig selbst in den Gebertopf einzahlen zu müssen. Einige Beobachten fühlten sich an die COP 2021 im schottischen Glasgow erinnert. Damals hatte Neu Delhi im Schulterschluss mit Peking die Abschlusserklärung verzögert und letztlich verwässert, weil sie beim Kohleausstieg zu weit gegangen sei.
Keine verschärften Beschlüsse zur Kohlendioxidverringerung gefasst
Kritik an den diesjährigen Beschlüssen kam aber auch aus den Industrieländern. „Das Abkommen der COP29, das heute Nacht in Baku verabschiedet wurde, ist enttäuschend, es wird den Herausforderungen nicht gerecht“, sagte Frankreichs Energie- und Klimaministerin Agnès Pannier-Runacher. Sie bezog sich vor allem darauf, dass keine verschärften Beschlüsse zur Kohlendioxidverringerung gefasst worden seien. Eigentlich hatten die Geber nur mehr zahlen wollen, wenn gleichzeitig verstärkte Engagements in der Treibhausgasminderung festgeschrieben worden wären.
„Zum Thema Klimaschutz wurde kein einziger Text verabschiedet, was eine sehr negative Botschaft aussendet und einen echten Misserfolg für diese COP29 darstellt“, so Pannier-Runacher. Wie nebenbei ergänzte sie noch einen Bezug zur Verdreifachung, den Stiell unterschlagen hatte, weil diesem Anstieg kein UN-Beschluss zugrunde liegt: In Dubai hatten zwei Dutzend Staaten, darunter Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, die USA und sogar Japan, beschlossen, zur CO₂-Veringerung ihre Kernkraftkapazitäten bis zum Jahr 2050 zu verdreifachen.
Auch die aserbaidschanische Präsidentschaft der diesjährigen Klimakonferenz bekam aus Frankreich ihr Fett ab. „Diese COP war im weiteren Sinne von einer echten Desorganisation und einem Mangel an Führungsstärke der Präsidentschaft geprägt“, sagte die Ministerin. Die Tagungsleitung sei nicht auf der Höhe der Herausforderungen gewesen: „Unsere Hoffnungen richten sich nun auf die COP30, die von Brasilien geleitet wird.“
Die Kritik der Industrieländer lautet insgesamt, dass die jüngsten Vereinbarungen zu wenig Klimaschutzanstrengungen erkennen ließen. Tatsächlich wird man die Verdreifachung irgendwelcher Minderungsziele in den Texten vergeblich suchen. Selbst die Rückbezüge auf „Dubai“ und das dort vereinbarte „Wegbewegen von den fossilen Brennstoffen“ sind nach der Intervention von Ölförderländern wie Saudi-Arabien in Baku mager ausgefallen.
Außerdem hätten sich die Industrienationen eine deutlichere Ausweitung der Geberbasis für die Klimafinanzierung gewünscht, damit sie die 300 Milliarden Dollar nicht alleine stemmen müssen. Ihrer Meinung nach sollten auch reichgewordene Länder wie China und die Golfstaaten einzahlen, die erheblich zu den Kohlendioxidemissionen beitragen.
Vonseiten der Nichtregierungsorganisationen kommt eine ganz andere Kritik an den Beschlüssen aus dem Olympiastadion am Kaspischen Meer. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisationen erkennen an, dass es jetzt ein neues Globalziel zur Klimafinanzierung für die Zeit nach 2025 gebe, sodass man nicht in ein gefährliches Vakuum falle. Positiv sei auch, dass der Beschuss im Jahr 2030 überprüft werden solle.
„Das Ziel ist aber zu schwach, die vorgesehene Unterstützung wird den wachsenden Bedarfen der einkommensschwachen Länder im Kampf gegen die Klimakrise nicht gerecht“, sagte Jan Kowalzig von Oxfam in Baku. Er kritisierte, dass die 300 Milliarden Dollar Augenwischerei seien, da sie vermutlich größtenteils aus Krediten bestünden: „Sie müssen mit Zinsen zurückgezahlt werden und können die oft erdrückende Schuldenlast der einkommensschwachen Länder weiter verschärfen.“
Große Hoffnung auf COP30 in Brasilien
David Ryfisch von Germanwatch verwies darauf, dass der Baku-Beschluss im Vorgriff auf die 2025 im brasilianischen Belém anstehende COP30 noch einen „Fahrplan zu den 1,5 Billionen Dollar“ aufgenommen habe. Diese jährliche Summe für die Klimafinanzierung in armen und verletzlichen Regionen soll bis 2035 zustande kommen und zwar aus allen Ländern und aus allen öffentlichen und privaten Quellen. Die 300 Milliarden Dollar „unter Leitung der Industrieländer“ sind nur ein Teil davon. Die Lücke gelte es „durch innovative Finanzmechanismen zu schließen“, sagte Ryfisch.
Zur sogenannten Adaptation kritisierte Germanwatch, die COP29 habe es nicht geschafft, den am meisten bedrohten Menschen verlässliche Unterstützung für den Umgang mit Klimawandelfolgen zu garantieren. Die Verträge ließen „die besonders verwundbaren Menschen mit leeren Händen zurück“: Das neue Klimafinanzierungsziel enthalte keine direkte Zahlungsverpflichtung zu klimabedingten Verlusten und Schäden. Und für die Anpassung an die Klimakrise seien nur prozessuale, aber keine inhaltlichen Fortschritte erzielt worden, die finanzielle Unterstützung bleibe vage.
Nach den zähen Verhandlungen von Baku setzen jetzt viele Teilnehmer auf mehr Dynamik im kommenden Jahr in Brasilien. Bis dahin müssen die einzelnen Länder ihre Nationalen Klimabeiträge (NDC) erhöhen. Das sind selbstgesteckte, aber regelmäßig ansteigende Ziele zur Treibhausgasminderung, zum Beispiel über den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien. Mit Blick auf Belém gilt also das, was der aserbaidschanische COP-Präsident in der mehrmals unterbrochenen langen Verhandlungsnacht von Baku den Delegierten immer wieder zurufen musste: „Die Sitzung wird vertagt.“
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