Schadet ein Hamas-Verbot den guten Diensten der Schweiz? Das Parlament ist in dieser Frage seit Jahren zerstritten. Die Entscheidung ist nun gefallen: Die Argumente für das Verbot haben sich durchgesetzt.
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11. Dezember 2024 – 16:48 Uhr
Bisher hat sich die Schweiz beim Verbot terroristischer Organisationen bewusst zurückgehalten und die Tür lieber offen gelassen. „Mit allen reden“ lautet die Devise der Schweizer Diplomatie.
Dies galt auch für die Hamas. Über Jahrzehnte hinweg pflegte die Schweiz bis vor wenigen Jahren einen diskreten, teils intensiven Dialog mit der palästinensischen islamistischen Bewegung. Zum ersten Mal wurde ein Hamas-Verbot ausgesprochenExterner Link im Parlament im Jahr 2017. Der Bundesrat erklärte daraufhin: „Die Schweiz [profitait] seiner Kontakte mit der Hamas in Gaza, um sie zur Achtung des humanitären Völkerrechts zu ermutigen.
Der Bundesrat verwies bereits auf die Bedeutung guter Dienste in seiner Aussenpolitik. Er begründete seine „Kontaktpolitik mit der Hamas“ weiter mit dem „Engagement der Schweiz“. [visait] zur Prävention von gewalttätigem Extremismus.
Offensichtlich hat es nicht funktioniert. Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas das schlimmste Massaker an jüdischen Menschen seit dem Holocaust. Hamas-Mitglieder töteten 1.200 Menschen, entführten 250 und die Organisation verkündete, dass solche Angriffe bis zur Zerstörung Israels andauern würden.
Diese Ereignisse unterbrachen auch den Dialog mit der Schweiz. Unter der Führung des Parlaments verfügte die Regierung das Verbot der HamasExterner Link. Dieses Gesetz ist nun besiegelt.
Umkehrung der Lehre
Dies ist eine Umkehrung der Doktrin der Konföderation. Bisher hatte die Schweiz nur Al-Kaida und den Islamischen Staat verboten; Das neutrale Land hatte sich gemäß seiner Gesetzgebung nämlich dazu verpflichtet, bestehende UN-Sanktionen gegen Terrororganisationen zu übernehmen.
Allerdings steht die Hamas nicht auf der UN-Liste der Terrororganisationen. Die Schweiz musste daher ein spezielles Gesetz schaffen, um ihre eigene Verbotspolitik umgehen zu können. Aber das muss eine Ausnahme bleiben. „Wir wollen keinen Automatismus schaffen“, erklärt ein gewählter Beamter mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik.
Sorge der Schweizer Diplomaten
Dennoch löst der Entscheid bei Schweizer Diplomaten, die ihr kleines Land seit jeher als neutralen Vermittler auf internationaler Ebene positioniert haben, Besorgnis aus. Manche befürchten, dass Partnerstaaten – etwa die USA oder die Türkei – in Zukunft Druck auf die Schweiz ausüben werden, Organisationen zu verbieten, die sie für unerwünscht halten, sei es um ein Signal zu senden oder um ihre Finanzströme zu verfolgen.
Andere, nicht neutrale Länder haben die Hamas schon viel früher verboten. Die Europäische Union (EU) hat sie 2003 nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf ihre Liste terroristischer Organisationen gesetzt. Anfang 2024, nach dem Massaker vom 7. Oktober, verlängerte die EU dieses Verbot und verhängte Sanktionen. Auch die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich haben die Hamas 1997 bzw. 2001 ausdrücklich verboten, indem sie die Organisation von Anfang an verboten haben.
Manche meinen, es sei zu spät
In der Schweiz gibt es zahlreiche Parlamentsfraktionen, die gewählte Amtsträger verschiedener Parteien für ein gemeinsames Anliegen zusammenbringen. Unter ihnen vertritt die Parlamentariergruppe Schweiz-Israel die Interessen des jüdischen Staates. Für ihre Mitglieder kommt das Verbot der Hamas durch die Schweiz sehr spät.
Der Vorsitzende der Gruppe, Alfred Heer, bedauert, dass man auf das Massaker vom 7. Oktober 2023 warten musste. „Wir hätten Hisbollah und Hamas schon längst verbieten sollen.“ Wir können deutlich erkennen, mit wem sie zusammenarbeiten“, erklärt der UDC-Nationalberater und verweist auf den gerade gestürzten syrischen Diktator Baschar al-Assad sowie auf den Iran, dem vorgeworfen wird, in der gesamten Region Unruhe zu stiften.
Alfred Heer macht keinen Unterschied zwischen sunnitischer Hamas und schiitischer Hisbollah. Deshalb hat er sich stets für ein Verbot der libanesischen Hisbollah eingesetzt. „Die Hamas wurde gegründet, um den Frieden im Nahen Osten zu torpedieren, und die Hisbollah schickt zu diesem Zweck Raketen“, sagte er und fügte hinzu, dass die pro-iranische Miliz „den Libanon destabilisiert und in Syrien einen Schlächter an der Macht gehalten hat“.
Eine Ausnahme?
Könnte daher zum Verbot der Hamas auch ein Verbot der Hisbollah hinzukommen? Genau dies forderte eine Motion der sicherheitspolitischen Kommissionen beider Kammern, die der Bundesrat jedoch ablehnt.
„In der Schweizer Aussenpolitik gibt es keine Verbotskultur“, argumentierte Justizminister Beat Jans im Parlament. Sollte es in der Schweiz dazu kommen, solche Organisationen per Spezialgesetz zu verbieten, stellt sich unweigerlich die Frage, wo und wie die Grenzen gezogen werden.“
„Es ist nicht auszuschließen, dass die Schweiz trotz dieses Verbots mit der Hamas spricht“, sagt Justizminister Beat Jans.
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Dies unterstreicht auch der sozialistische Ständerat Carlo Sommaruga. Als langjähriger Unterstützer der palästinensischen Sache war er der einzige, der im Oberhaus des Parlaments gegen das Verbot der Hamas stimmte. Die Schweiz habe bewusst darauf verzichtet, die Taliban in Afghanistan, die IRA in Irland, die ETA in Spanien, die RSF im Sudan oder die FARC in Kolumbien als Terrororganisationen zu sanktionieren, sagte er. „Es besteht also ein Widerspruch“, sagt Carlo Sommaruga.
Hisbollah-Verbot auf Eis gelegt
In seiner Argumentation gegen das Verbot der Hisbollah berief sich Justizminister Beat Jans im Einklang mit der Strategie der Regierung auf gute Dienste. „Wir sollten nicht unterschätzen, was solche Verbote für die Wahrnehmung der Schweiz in der Region und für mögliche zukünftige Vermittlungsdienste der Schweiz als neutrales Land bedeuten“, argumentierte er.
Alfred Heer sieht das nicht so: „Wenn Israel die guten Dienste der Schweiz will, können wir sie immer bereitstellen“, entgegnet er. Beat Jans selbst stimmt indirekt zu, denn auch er sagte dem Ständerat: „Es ist nicht auszuschließen, dass die Schweiz trotz dieses Verbots mit der Hamas spricht.“
Szene am Rande einer Hisbollah-Demonstration in Beirut, März 2024.
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Die zentristische Staatsrätin Marianne Binder-Keller hält den Reflex, keine Stellung zur Wahrung guter Dienste zu beziehen, für falsch. Ihr Nutzen muss relativiert werden. „Machen diese Organisationen nicht viel mehr Schaden, wenn wir sie nicht austrocknen?“
Marianne Binder-Keller ist eine der Parlamentarierinnen hinter dem Antrag, der ebenfalls ein Verbot der Hisbollah vorsahExterner Link. Der Ständerat unterstützte diese Motion entschieden, während der Nationalrat seinen Entscheid ebenso deutlich verschob.
„In dieser Situation darf die Schweiz nicht zum Biotop solcher Organisationen werden“, sagt Marianne Binder-Keller.
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Die EU verhängte 2013 Sanktionen gegen die Hisbollah und stufte ihren militärischen Flügel als Terrororganisation ein. Die Vereinigten Staaten hatten bereits 1997 die Führung übernommen. Großbritannien und die Niederlande verboten schnell auch den zivilen Zweig der Organisation.
Seit 2020 folgen auch andere Länder, darunter Deutschland und Estland, der von den USA initiierten Politik, die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Parteien aufzugeben. Die Liste der Länder, die die Hisbollah für verboten halten, erstreckt sich inzwischen über die ganze Welt: von den 21 Ländern der Arabischen Liga über Australien und Neuseeland bis hin zu Argentinien und Japan.
Die Schweiz darf nicht zum Zufluchtsort werden
Der internationale Kontext, insbesondere die klare Position der EU nach dem Massaker vom 7. Oktober, ist für Marianne Binder-Keller daher ein wichtiger Parameter. Während Europa zusammenrücke, „muss die Schweiz aufpassen, dass sie nicht zum Zufluchtsort für diese Art von Organisation wird“, sagt sie.
Aus diesem Grund sehen die sicherheitspolitischen Verantwortlichen im Parlament in der Entscheidung, die Hamas zu verbieten, weit mehr als nur ein politisches Symbol. „Es erleichtert sowohl die Prävention als auch die Rechtsverfolgung und ermöglicht die Blockierung von Finanzströmen“, sagt Marianne Binder-Keller.
„Nicht wegschauen vom Antisemitismus“
SVP David Zuberbühler, der im Nationalrat für ein Verbot der Hisbollah in der Schweiz kämpfte, sieht im Parlamentsbeschluss sogar eine Stärkung der Schweizer Position auf der internationalen Bühne. „Unser Land kann nur dann ein authentischer und glaubwürdiger Friedensvermittler sein, wenn es angesichts von Antisemitismus, Terrorismus, Gewaltverherrlichung und Rassismus nicht wegschaut“, betont er.
Der Abgeordnete der Schweizerischen Evangelischen Partei (PEV), Nik Gugger, ein erfahrener Aussenpolitiker, stimmt dem zu. Angesichts der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten sei es für ein Land wie die Schweiz vielleicht gut, klar Stellung zu beziehen, meint er. „Es ist ein Signal, das auch Menschen wie dem neuen starken Mann in Syrien eine Orientierung geben kann.“
Text korrekturgelesen und verifiziert von Mark Livingston, übersetzt aus dem Deutschen von Pauline Turuban mit DeepL/sj