Wählerische Esser – Menschen, die sehr wählerisch sind, was sie essen – verursachen bei Familienessen Stress. Aber sollen wir den Kindern oder den Erwachsenen die Schuld geben? Meistens sind Eltern sowohl Ursache als auch Lösung des Problems. SRF folgte zwei hilfesuchenden Familien.
Einkaufen im Supermarkt nervt Fabienne Puckelwaldt: „Ich kaufe immer das Gleiche. Es wäre schön, wenn mein Kind auch ab und zu etwas anderes essen würde.“ Der Speiseplan seiner sechsjährigen Tochter Laura ist wenig abwechslungsreich und enthält viele süße Produkte. Als Mutter fühlt sich Fabienne schuldig. „Vor allem, wenn ich sehe, wie vielfältig die Ernährung anderer Kinder ist“, verrät sie.
Ihre Tochter ist eine sogenannte „wählerische Esserin“, eine Person, die beim Essen sehr wählerisch ist. Dieses bei Kindern häufig vorkommende Verhalten bleibt nicht ohne Folgen. Die Puckelwaldts essen nur, was Laura zu schlucken bereit ist. Und wenn sie ein neues Essen ablehnt, führt das zu Spannungen innerhalb der Familie und macht die Atmosphäre am Tisch sehr angespannt.
Für Fabienne ist diese Situation eine Quelle erheblichen Stresses. „Ich habe keine Lust mehr zu kochen“, gesteht die 45-jährige Mutter. Und oft möchte ich nicht mehr mit meiner Tochter am selben Tisch sitzen. Außerdem müssen wir uns gegenüber anderen rechtfertigen, die fragen, warum ich Ich gehe so sehr auf die Vorlieben meines Kindes ein.
Coaching, um Gelassenheit am Tisch zu finden
Um dem ein Ende zu setzen, beschloss Fabienne, sich an einen Ernährungscoach zu wenden. Dank achtwöchiger Unterstützung soll diese Nachbereitung Ruhe und Freude an den Familientisch bringen.
Ernährungsberaterin Moana Werschler beginnt mit einem Überblick: Laura isst 15 Lebensmittel, darunter Obst, Gemüse und Nudeln. Dies sei eine gute Grundlage für gesunde Produkte, die jedoch leider nur in geringen Mengen konsumiert würden, stellt der Experte fest.
Um alles noch komplizierter zu machen, stellt Laura viele Bedingungen. Sie möchte zum Beispiel nur die Erdbeeren des Nachbarn, der Schinken muss von einer bestimmten Marke sein und Mozzarella – das einzige Milchprodukt auf der Liste – wird nur in Form kleiner Kugeln genossen.
Darüber hinaus isst das Kind eindeutig zu viel Zucker, so Moana Werschler: „Es gibt ein erkennbares Muster. Wählerische Kinder reagieren sehr empfindlich auf Zucker und verlangen viel davon. Je mehr Süßigkeiten sie essen, desto weniger wollen sie Süßigkeiten schmecken.“ . andere Geschmacksrichtungen.“
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Laut der Ernährungsberaterin handelt es sich bei Fabiennes Tochter nicht um einen ernsten Fall. Dennoch lohnt es sich, am Stress der Mutter zu arbeiten. „Je entspannter die Eltern sind, desto eher sind die Kinder bereit, Neues auszuprobieren. Und das ist der Schlüssel zu einer abwechslungsreichen Ernährung und einer besseren Atmosphäre am Tisch“, betont Moana Werschler.
Und Laura fängt an, rohen Sellerie zu essen …
Nach acht Wochen intensivem Coaching freut sich Fabienne Puckelwaldt über die ersten Fortschritte. Sie gibt zu, vor allem an sich selbst gearbeitet zu haben und reagiert nun gelassener auf das selektive Essverhalten ihrer Tochter: „Wir essen wieder gerne zusammen und haben auch mehr Spaß.“
Wenn Laura heute mit dem Essen spielt oder mit den Fingern im Brokkoli wühlt, machen die Eltern keine große Sache mehr daraus. Auch Pater Sven, 48, zeigt sich erleichtert: „Wir zwingen Laura nicht mehr, alles zu probieren. Das macht sie offener für neue Lebensmittel.“
Ein weiterer Grund zur Zufriedenheit: Lauras Speisekarte ist von 15 auf 24 Lebensmittel gewachsen, darunter auch zuckerfreie Produkte. Für Ernährungsberaterin Moana Werschler erklärt sich das damit, dass Fabienne ihre Tochter nun sowohl beim Einkaufen als auch bei der Essenszubereitung einbezieht: „In den Supermarkt gehen, Gemüse schneiden, das regt die Sinne an und die Kinder fangen an zu schmecken.“
Angesichts einer solchen Situation wird jeder kleine Fortschritt fast zu „Magie“. Der beste? Laura liebt jetzt rohen Sellerie. „Das war vorher undenkbar. Ich bin immer noch völlig fassungslos“, sagt Fabienne Puckelwaldt.
Die Rolle der Beobachtung
Die Lebensmittelselektivität hat sich als zentrales Thema in der Kindermedizin etabliert. Das Universitäts-Kinderspital Basel sieht sich zunehmend mit Anfragen besorgter Eltern konfrontiert. Darum kümmert sich ein spezialisiertes Team unter der Leitung eines Duos bestehend aus Corinne Légeret, Ärztin für Gastroenterologie und Kinderärztin, und Margarete Bolten, Psychologin mit Spezialisierung auf Neonatologie.
Maragrete Bolten möchte Eltern beruhigen. Generell gefährde ein wählerisches Kind seine Gesundheit nicht: „Selbst wenn es nur zwei Sorten Gemüse und zwei Sorten Obst isst, reicht es, um gut zu wachsen, solange die Kalorienmenge ausreicht.“ Allerdings sei es notwendig, das Verhalten Ihres Kindes genau zu beobachten, betont Corinne Légeret, denn es gebe Fälle, die mit einer Essstörung zusammenhängen und eine ärztliche Behandlung erfordern.
Der Arzt teilt die „wählerischen Esser“ in drei Gruppen ein: Kinder, die nur sehr kleine Portionen essen; diejenigen, die nur fünf oder sechs Lebensmittel zu sich nehmen; schließlich diejenigen, die therapeutische Unterstützung benötigen, weil sie unter Vorerkrankungen leiden oder Angst vor Nahrungsmitteln haben. Corinne Légeret nennt als Beispiel die selektive und vermeidende Essstörung, eine schwere Störung, besser bekannt unter dem englischen Akronym ARFID.
Die Bedeutung der spielerischen und sensorischen Seite
Familien, die mit einer pathologischen Essstörung zu kämpfen haben, können in Graz, Österreich, Hilfe suchen. NoTube, die weltweit erste Schule für Ernährungserziehung, bietet therapeutische Unterstützung für Kinder und Eltern. Es bietet telemedizinische Beratungen, aber auch einen zweiwöchigen Ernährungskurs zum Preis von 10.000 Euro (rund 9.300 Franken) an.
Jan und Julia Lepel reisten mit ihrer Tochter von Hamburg nach Graz. Die kleine Sophia ist gesund, isst aber fast nur Haferbrei. „Nur so fühlt sie sich wohl“, erklärt Jan Lepel. Der Vater hofft, dass sich die Investition lohnt, „denn wenn ich meine Tochter berühre, spüre ich, wie dünn sie ist. Sie ist nur noch Haut und Knochen.“
In dieser Schule wird Essen auf unterhaltsame und sinnliche Weise betrachtet. Kinder spielen mit Essen und verteilen es zwischen ihren Zehen und auf ihrer Haut. Sie lernen etwas über Lebensmittel, indem sie sie berühren, riechen, sehen und, was am besten ist, sie schmecken und essen.
Ziel: Kinder stärken
Die Autonomie der Kinder ist eines der Ziele der Schule. „Eltern denken ständig, sie müssten in die Ernährung ihrer Kinder eingreifen, angesichts der Fülle an ungesunden Lebensmitteln“, erklärt Marguerite Dunitz, Kinderärztin und Gründerin von NoTube.
Für die meisten teilnehmenden Familien bedeutet diese Schule vor allem die Hoffnung, dass ihre Kinder in Zukunft glücklich und in ausreichender Menge essen können. Für Sophias Eltern ist jeder Bissen, der im Magen ihrer Tochter landet, ein Sieg. Jan Lepel ist optimistisch: „Sophia versucht es mehr denn je. Sie lernt, ohne ihr Müsli zu leben und hat weniger Angst davor, neue Dinge zu essen.“
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Heikko Böhm, SRF
Adaption auf Französisch: Didier Kottelat