Am Rande
In Frankreich ist die Kinesiologie – nicht zu verwechseln mit der Physiotherapie, dem Äquivalent der Physiotherapie – ein besonders heikles Thema, seit das Schwurgericht Quimper im Jahr 2005 ein Elternpaar zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt hat, das der Praxis angehörte, die den Tod verursachte ihres 16 Monate alten Kindes Kérywan an Unterernährung. Im Einklang mit der Philosophie der Methode (aber im Extremfall) plädierten die Eltern für eine Ernährung ihres Sohnes ohne tierische Proteine und Vitamine und standen im völligen Widerspruch zur Schulmedizin.
Die Kinesiologie wurde in den 1960er Jahren vom amerikanischen Chiropraktiker Georges Goodheart gegründet und ist eine daraus entstandene Bewegung Neues Zeitaltererklärt Miviludes. „Im therapeutischen Prozess nutzt die Methode die Beziehung zwischen der Muskulatur und dem menschlichen Körper, um Ungleichgewichte im Energiesystem zu erkennen und die Veränderungen spürbar zu machen“, erklärt der Schweizer Dachverband Kinesuisse. Tatsächlich führen Kinesiologen Muskeltests durch.
Im Großen und Ganzen wählen Kinesiologen, nachdem sie ihren Klienten eine Reihe von Fragen gestellt haben, einen Muskel aus, oft im Arm, und beobachten die Reaktion des Muskels, wenn sie ein Thema, eine Situation, ein Essen oder ein anderes bestimmtes Gefühl erwähnen um die Energieströme des Patienten zu erfassen. Ziel sei es, „das Wohlbefinden zu steigern, die geistigen Fähigkeiten zu stärken und ganzheitlich zu heilen“, so Kinesuisse.
In einem wissenschaftlichen Gutachten von Inserm aus dem Jahr 2017 schätzte das französische Nationale Institut für Gesundheit und medizinische Forschung, dass es „sehr wenige randomisierte kontrollierte Studien gibt, die bisher keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Kinesiologie zulassen“, und betonte die Tatsache, dass dies der Fall sei Andererseits bestanden „potenzielle Risiken“ im Zusammenhang mit der Positionierung des Praktikers während des manuellen Muskeltests und der Gefahr, unter Einfluss genommen zu werden. Dennoch unterscheidet Inserm hinsichtlich des Risikos, unter Einfluss genommen zu werden, zwischen in Kinesiologie ausgebildeten Gesundheitsfachkräften und den übrigen Praktikern, die sehr heterogen sind.
Für Helsana gilt: „Entfalten Sie Ihr Potenzial“
In der Schweiz gibt es ein eidgenössisches Diplom in Kinesiologie, das an verschiedenen privaten Instituten studiert und durch Zusatzversicherungen erstattet werden kann. Eine Studie zum Einsatz von Komplementärmedizin und -therapien ergab, dass es im Kanton Waadt im Jahr 2015 mehr als 150 Kinesiologie-Praktizierende auf Waadtländer Land gab, die über das ASCA-Qualitätssiegel verfügten – das Anspruch auf Erstattung durch bestimmte Versicherer einräumt. Allerdings ist es schwierig, sich einen Überblick über die Zahl der betroffenen Ärzte und Patienten in der Westschweiz zu verschaffen, da es kein offizielles Register gibt.
In der Schweiz zeigt die der Praxis gewidmete Internetseite des Versicherers Helsana deutlich, welche kulturellen Unterschiede zwischen der Schweiz und Frankreich in Bezug auf alternative Medikamente und Therapien bestehen können. Diese Webseite mit dem Titel „Kinesiologie: Wenn die Muskeln zu uns sprechen“ erklärt, wie „Kinesiologen die Energieflüsse des Körpers testen und Techniken zur Wiederherstellung des Gleichgewichts bestimmen“. Für Helsana ist die Praxis zur Vorbeugung oder bei Beschwerden wie Stress, Schlafstörungen, Allergien oder Verdauungsstörungen für Menschen jeden Alters geeignet. „Kinesiologie kann Sie auch bei Ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen und Ihnen ermöglichen, Ihr Potenzial zu entfalten“, so der Versicherer.