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Israelischer Botschafter Ron Prosor: „Teheran will Eskalation“

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Der israelische Diplomat Ron Prosor kündigt eine „angemessene Reaktion“ Israels auf den iranischen Raketenangriff an. Ein Gespräch über den Krieg im Nahen Osten, Judenhass unter dem Deckmantel politischer Korrektheit und gut gemeinte Ratschläge deutscher Politiker.

Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin.

Ronny Hartmann / Getty

Herr Botschafter, der Iran hat Raketen auf Israel abgefeuert. Die Revolutionsgarden des Landes sagten, der Angriff sei eine Vergeltung für die Ermordung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah gewesen. Sind Sie überrascht?

Der Anschlag vom Dienstagabend ist das jüngste Glied in einer langen Kette des Staatsterrorismus. Ich mache mir keine Illusionen über die Natur der Mullahs. Doch Europa muss jetzt endlich aufwachen: Teheran will Eskalation. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn der Iran Atomwaffen hätte.

Wie wird Israel reagieren?

Die Mullahs und Ayatollahs sind eine Gefahr für die ganze Welt, nicht nur für Israel. Jetzt haben sie sich die Finger verbrannt und wir werden darauf eine angemessene Antwort finden. Gemeinsam mit unseren Verbündeten müssen wir diese Bedrohung beseitigen.

In der deutschen Politik herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Tötung des Hisbollah-Führers im Interesse Israels lag oder nicht. Was sagen Sie?

Nasrallah war der Usama bin Laden des Libanon. Sein Tod ist ein Wendepunkt, der die Libanesen aus dem Würgegriff der Hisbollah und des Iran befreien muss. Dafür brauchen die Libanesen europäische Unterstützung.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, der Tod Nasrallahs sei „in keiner Weise im Interesse der Sicherheit Israels“.

Israel allein entscheidet, was im Interesse der israelischen Sicherheit ist. Auch wer die Schwächung der Hisbollah nicht als historische Chance für Europa sieht, muss seinen Blick dringend schärfen.

Gibt es deutsche Politiker, deren Rat Sie schätzen?

Dazu möchte ich lieber nichts sagen.

Warum?

Weil ich als nächstes nicht Botschafter in Abuja, Nigeria, sein möchte (lacht). Im Ernst, jeder, der Israel Ratschläge gibt, kann davon ausgehen, dass wir unsere Nachbarn nicht schlechter kennen als alle anderen. Uns gefällt es nicht, wenn man uns sagt, wie wir unser Volk verteidigen sollen. Wir haben darin viel Erfahrung. Israel befindet sich seit seiner Gründung ständig im Krieg.

Wie erleben Sie die aktuelle Berichterstattung in den deutschen Medien?

Kürzlich habe ich in den „Tagesthemen“ einen sogenannten Nahost-Experten gesehen, der sagte, Frieden sei besser als Krieg. Was für ein Genie, dachte ich. Natürlich ist Frieden besser als Krieg. Gesund und reich zu sein ist auch besser als krank und arm zu sein. Aber Frieden ist mit der Hamas nicht möglich. Sehr einfach.

Als Bundeskanzlerin im Jahr 2008 sagte Angela Merkel, dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehöre. Ihr Nachfolger Olaf Scholz wiederholte dieses Bekenntnis wenige Tage nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023. Hält die Bundesregierung ihr Wort?

Deutschland ist unser zweitwichtigster strategischer Partner. Doch in einer Zeit, in der Israel um sein Überleben kämpft, könnte Deutschland mehr tun, um der Staatsräson gerecht zu werden.

Die Vereinten Nationen haben gerade eine Resolution verabschiedet, die unter anderem ein Waffenembargo gegen Israel fordert. Deutschland enthielt sich bei der Abstimmung.

Dafür habe ich kein Verständnis. Wir brauchen Deutschland als Partner in internationalen Gremien, nicht als neutralen Beobachter. Auch bei der UNO, die ich sehr gut kenne, findet ein Kampf statt, ohne Waffen, aber mit Worten. Es geht um die Dämonisierung und Delegitimierung Israels. Und es handelt sich nicht um eine Doppelmoral, sondern um eine Dreifachmoral: einmal für die Diktaturen der Welt, einmal für die Demokratien und einmal nur für Israel.

Wie erklären Sie sich die Enthaltung Deutschlands? Es war nicht das erste seiner Art.

Ich kann es nicht erklären. Wirklich nicht.

Der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023, der sich in wenigen Tagen zum ersten Mal jährt, hat das Leben von Juden auf der ganzen Welt verändert. Wie ist die Situation in Deutschland heute?

Juden in Deutschland haben heute Angst davor, auf der Straße oder in der U-Bahn als Juden erkannt zu werden. Jüdische Studierende nehmen am liebsten online an Seminaren teil. Wenn sie auf dem Campus sind, haben sie Angst vor den langen Fluren und gehen zu zweit auf die Toilette. Alle jüdischen Einrichtungen wie Schulen und Synagogen müssen von der Polizei bewacht werden. Diese Anomalie kann nicht als normal angesehen werden.

Antisemitismus war in Deutschland bereits ein Problem. Und jüdische Einrichtungen stehen hierzulande längst unter Polizeischutz.

Ja. Aber es ist noch viel schlimmer geworden. Antisemitismus von rechts hat es schon immer gegeben. Ganz einfach: „Wir sind gegen Juden, Schwarze und Schwule.“ Der Antisemitismus von links ist klüger, ebenso der muslimische Antisemitismus – beide tragen heute das Gewand der politischen Korrektheit.

Antisemitismus wird auch als der älteste Hass der Welt bezeichnet. Ist dieser Hass heute nur noch lauter und durchsetzungsfähiger? Oder ist am 7. Oktober eine neue Form entstanden?

Ich denke, wir erleben etwas Neues. Versuche, Israel und Juden zu dämonisieren, verbreiten sich in den sozialen Medien rasant. Und es ist schwer zu widerstehen. Es gibt Medien, die es versuchen. Anständige Zeitungen wie die NZZ prüfen, was sie berichten und verlassen sich nicht auf eine einzige Quelle. Aber Fake News sind wie Waldbrände. Sie können nicht schnell genug löschen. Und heute gibt es überall Brände, im kulturellen Leben, an Universitäten, in Teilen der Politik. Es ist eine sehr gefährliche Situation. Wir Juden sind der Kanarienvogel im Kohlebergwerk. Wenn der Antisemitismus zunimmt, ist das ein Warnsignal für alle. Wir sind die Ersten. Dann folgen andere.

Ich habe kürzlich ein Interview mit zwei jüdischen Studenten geführt. Zwei von ihnen denken darüber nach, Deutschland zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Sie reisen selbst viel durch das Land. Hören Sie etwas Ähnliches?

Ja. Ich kenne Beispiele. Ein Arzt musste nach 25 Jahren einfach seine Praxis schließen, weil er als Jude so behandelt wurde. Ich höre oft, dass Menschen in Israel Wohnungen gekauft haben, aber noch nicht den letzten Schritt getan haben. Dabei handelt es sich überwiegend um Juden mit deutschen Wurzeln. Die Auswanderungsbereitschaft der russischstämmigen Juden ist deutlich geringer.

Warum?

Wenn Sie bereits einmal ausgewandert sind, ist die Bereitschaft, dies ein zweites Mal zu tun, gering. Es ist eine schwierige Sache: die Integration im neuen Land, der Schulbesuch der Kinder, die Sprache.

Sie selbst haben deutsche Wurzeln.

Preußische Wurzeln!

Warum betonen Sie das?

Denn meine Familie väterlicherseits war sehr preußisch. Mein Großvater Berthold Proskauer hatte mit seinem Judentum nicht viel zu tun. Dies war ein nationalistischer preußischer Offizier. Ich habe ein Foto von ihm mit einem Pickel. . . wie heißt das?

Pickelhaube?

Undatiertes Foto von Berthold Proskauer, Großvater des israelischen Botschafters Ron Prosor.

Familienarchiv Prosor

Ja, Pickelhelm. Ich schicke Ihnen das. 1934 schrieb er in Tel Aviv: „Ich bin ein Deutscher, und ich werde immer ein Deutscher bleiben.“ Und: „Gott beschütze mein deutsches Vaterland.“ Bei meiner Großmutter Elfriede war es ähnlich. Sie lebte in Haifa, aber ihre Gedanken waren immer hier: Kurt Masur und das Gewandhaus in Leipzig, Goethe, Schiller. . . Es war eine Hassliebe. Alles, was sie ausmachte, war deutsch. Aber Deutschland hat sie rausgeschmissen.

Fühlen Sie sich deutsch?

Nein, ich fühle mich nicht deutsch. Ich fühle mich sehr israelisch. Mein Vater Uri hatte noch etwas Preußisches an sich; er war immer sehr pünktlich. Aber meine Mutter wurde in Israel geboren; die Eltern waren Bauern aus Odessa. Die bürgerlichen Proskauer waren darüber nicht erfreut. „Du kannst sie nicht heiraten“, sagten sie zu meinem Vater. „Das sind Fußsoldaten.“ Am Ende war es eine gute Mischung: das Preußische des Vaters und die Herzlichkeit der Mutter.

Im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wurden kürzlich Stolpersteine ​​verlegt, die an die Flucht Ihrer Großeltern aus Deutschland im Jahr 1933 erinnern. Welche Bedeutung haben diese Steine ​​für Sie?

Als ich 2007 Botschafter in Großbritannien wurde, fuhr ich in einer Kutsche mit weißen Pferden zur Königin, um ihr mein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Das war sehr emotional. Wir bezahlen noch heute den Hut meiner Frau. Doch als ich 2022 im Beisein meiner 92-jährigen Mutter meine Akkreditierung an Frank-Walter Steinmeier überreichte, war das der Höhepunkt meiner Karriere. Ich schaute auf die israelische Flagge und dachte an meinen Vater, der nicht mehr bei uns ist. Meine Familie wurde vor der Gründung des Staates Israel aus Deutschland ausgeflogen und heute bin ich Vertreter des jüdischen Staates in Berlin. Was für eine Ehre.

Seit dem 7. Oktober wirkt der Staat Israel in seiner politischen Kommunikation deutlich robuster als zuvor. Dies gilt auch für Diplomaten. Sie selbst, Herr Prosor, greifen immer wieder öffentlich Menschen an, die Ihrer Meinung nach Antisemitismus oder Hass auf Israel verbreiten oder fördern. Mal trifft es einen Universitätspräsidenten, mal einen jüdischen Journalisten, mal den Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Ziemlich undiplomatisch, oder?

Ich habe vor drei Jahren ein Buch geschrieben. Die Übersetzung vom Englischen ins Hebräische wird bald veröffentlicht. Der Titel lautet: „Undiplomatisch gesehen“. Was bedeutet das? Ich glaube sehr stark an Diplomatie. Aber Diplomatie darf nicht aus leeren Worten bestehen. Wenn wir beispielsweise im Iran etwas ändern wollen, müssen wir die Mullahs davon überzeugen, dass ihr Handeln Kosten verursacht. Wenn wir keine militärische Option auf den Tisch legen, können wir nicht erwarten, dass sie ihr Verhalten ändern.

War die öffentliche Diplomatie Israels in der Vergangenheit zu zurückhaltend?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben große Fehler gemacht. Wir dachten, die Hamas bestehe aus normalen Menschen. Sie sind Barbaren. Wir dachten, dass sie es nicht wörtlich meinten, als sie drohten, jeden Juden zu töten, selbst wenn er sich hinter einem Baum versteckte. Säbelrasseln, dachten wir. Wir hatten ein Bild von der Welt, wie wir sie sehen wollten, nicht wie sie wirklich ist. Und wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt. Europa und insbesondere Deutschland müssen aufpassen, nicht in die gleiche Falle zu tappen.

Wie meinst du das?

Die deutsche Ostpolitik von Willy Brandt und später Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel war grundsätzlich richtig. Aber es ist ein Fehler, sich heute im Umgang mit Wladimir Putin auf den Dialog zu verlassen. Eindämmung hilft nicht gegen Putins Russland.

Zwei deutsche Parteien, die im Verhältnis zu Russland auf Zurückhaltung und Dialog setzen und derzeit zunehmend erfolgreich sind, sind die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW. Beide kritisieren nicht nur deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern auch an Israel. Was sagen Sie dazu?

Die Tatsache, dass Linke und Rechte in diesen Fragen so nahe beieinander liegen, ist natürlich eine Warnung. Aber ich habe großes Vertrauen in die deutsche Demokratie.

Gibt es Kontakte zwischen der israelischen Botschaft und der AfD?

Nein. Wir reden nicht mit ihnen.

Gibt es seitens der Partei Versuche, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen?

Nicht, dass ich es wüsste.

Und die BSW?

Noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass sich das bald ändern wird.

Wenn Frau Wagenknecht anruft, gehen Sie dann ans Telefon?

Ja. Normalerweise antworte ich, wenn jemand mit mir reden möchte.

(Die ersten beiden Fragen im Interview zum iranischen Raketenangriff am Dienstagabend wurden schriftlich eingereicht, Anm. d. Red.)

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