Als Papst Franziskus ankündigte, dass die Hauptbotschaft des nächsten Jubiläumsjahres die Hoffnung sein werde, konnte ich nicht gleichgültig bleiben. Für mich hat dieses Wort eine besondere Bedeutung. Die von Gott gegebene Hoffnung war und ist Teil des Lebens meiner Familie; Es ist wie ein stiller Stern, der uns in den dunkelsten Momenten führt.
Ich bin mit Geschichten über die Deportation meiner Verwandten aufgewachsen. Sie erlebten das Schrecklichste, was einem Menschen passieren kann: die Trennung von ihrer Heimat, dem Land, in dem sie geboren wurden, von ihrer Lebensweise. In einer einzigen Nacht wurde ihnen alles genommen. Ich stelle mir diesen Moment oft vor: die kahlen Wände des Hauses, in dem sie gestern zu Abend gegessen und gelacht haben, die schwere und ängstliche Stille und den Zug, der sie ins Unbekannte entführt.
Sie wussten nicht, was sie als nächstes erwartete. Sie wussten nicht, ob sie nach Hause zurückkehren könnten. Aber sie klammerten sich an die Hoffnung: die Hoffnung, dass Gott sie nicht verlassen würde, dass er ihnen nahe sein würde.
Sie hielten diese Hoffnung durch die Zeichen der Gegenwart Gottes lebendig: Die Gebetbücher, die Heilige Schrift, der Rosenkranz, die Ikonen: das waren ihre Schätze. Ich erinnere mich, dass mein Vater ein altes, abgenutztes Gebetbuch mit vergilbten Seiten in seinen Händen hielt. Er erzählte mir, dass seine Großmutter dieses Buch mit nach Kasachstan gebracht hatte. Für sie war es viel mehr als nur ein Text. Es war seine Verbindung zu Gott, seine Zuflucht in der Stunde des Unglücks.
Als es in unserem Dorf weder eine Kirche noch Priester gab, versammelten sich unsere Vorfahren zum Beten in ihren Häusern. Ich stelle mir vor, wie sie beteten: nicht protzig, nicht laut, sondern mit tiefem Glauben. Vielleicht hatten sie Angst. Vielleicht packte sie manchmal Verzweiflung. Aber sie wussten, dass ihre Gebete die Brücke zwischen Erde und Himmel waren.
Und dann, viele Jahre später, kamen die Priester, um sie zu besuchen. Diejenigen, die die Konzentrationslager überlebt hatten, die ihre schreckliche Strafe abgesessen hatten, nur weil sie Priester waren. Erschöpft, krank, alt, sie wurden zur Antwort auf die Hoffnung meiner Lieben. Die Menschen konnten wieder das Wort Gottes hören, die Sakramente empfangen, heiraten und ihre Kinder taufen. Mein Vater erinnerte sich daran, wie seine Großmutter weinte, als sie zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder die Kommunion empfing. Für sie war es ein Moment, als hätte Gott sie erneut umarmt.
Selbst in den schwierigsten Momenten gaben meine Angehörigen und andere Menschen nicht auf. Als die Behörden die Kapelle schlossen, bauten die Menschen in ihren Häusern kleine „Kapellen“. Die Schwester meiner Großmutter hatte eine. Als Kind verstand ich nicht, was dieser Raum mit den Ikonen und Kerzen war, aber ich bemerkte, dass mein Vater ihn mit besonderer Ehrfurcht betrat. Später erfuhr ich, dass sie an diesen Orten ihren Glauben und ihre Hoffnung bewahrten. Keiner von ihnen wusste damals, dass sie eines Tages öffentlich in die Kirche gehen, Priester einladen und ihre Kinder taufen können würden. Aber sie hofften. Sie glaubten, dass Gott sie nicht im Stich lassen würde.
Jetzt wird mir klar, wie großartig ihre Heldentat war. Dank ihres Glaubens und ihrer Hoffnung hat sich unser Leben verändert. Als die Sowjetunion endete, kamen der erste ständige Priester und dann die Nonnen in unser Dorf. In dem Haus, das unser Volk zu einer Kirche umgebaut hat, erklang das Gebet erneut. Damals verspürte ich, inspiriert durch das Beispiel dieser Menschen, die Berufung zum Priestertum und meine Schwester beschloss, ihr Leben dem Dienst an Gott in einer Klostergemeinschaft zu widmen. Ihre Hoffnung ist zu unserem Lebensweg geworden.
Wenn ich an Hoffnung denke, sehe ich darin nicht nur die Erwartung auf etwas Besseres, sondern auch ein tiefes Vertrauen in Gott. Hoffnung ist wie ein Feuer, das das Herz erwärmt. Auch heute stehen wir wieder vor Herausforderungen. Die Welt verändert sich, nicht immer zum Besseren. Aber wir sind aufgerufen, dieses Licht in unseren Herzen zu behalten. Dieses Jubiläumsjahr erinnert uns daran, dass Hoffnung nicht nur die Vergangenheit, sondern auch unsere Gegenwart und Zukunft ist.
Wenn ich an die Heldentaten unserer Vorfahren denke, frage ich mich: Wie kann ich dieses Feuer an die Menschen um mich herum weitergeben? Wie kann ich für andere zur Verkörperung der Hoffnung werden? Auch heute lässt Gott uns nicht im Stich. Er geht mit uns, wie er in den Jahren des Exils mit unseren Verwandten gegangen ist.
Möge dieses Jubiläumsjahr für uns eine Zeit der Erneuerung sein. Möge es uns mit der Entschlossenheit erfüllen, die Hoffnung zu leben, sie an andere weiterzugeben und ein Licht im Leben derer zu sein, die verzweifeln. Und mögen die Worte des Apostels Paulus immer in unseren Herzen nachklingen: „Die Hoffnung enttäuscht nicht, denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wurde“ (Rm 5,5).
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