Während der Ferien zum Jahresende versuchte unser Journalist, humanitäre Hilfe über die Grenze zu schmuggeln. Und er entdeckte, woran viele Ukrainer leiden: eine rücksichtslose Bürokratie.
Kurt Pelda, Kiew / ch media
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Ein ukrainisches Krankenhaus erhielt einen durch Schweizer Spenden finanzierten Generator.Bild: Raimond Lüppken
Was tun, wenn Ihr Gesprächspartner ein Weihnachtsgeschenk nur zögerlich annimmt? Wenn bürokratische Hürden die Freude am Schenken verderben? Wir sind am ukrainischen Grenzposten Diakovo und warten darauf, durch den Zoll zu gehen.
Während bei „normalen“ Reisenden die Kontrolle in der Regel schnell erfolgt, dauert die Einreise humanitärer Hilfe etwas länger. Wir sind mit zwei Fahrzeugen unterwegs, eines davon geht zu einer medizinischen Hilfsorganisation in Kramatorsk, Ostukraine.
Darin sechs große Kisten voller Infusionsbesteck, Spritzen und Verbandmaterial. Außerdem gibt es einen alten Autoklaven zum Sterilisieren medizinischer Instrumente – alles Spenden aus der Schweiz. Das Schweizer Hilfswerk Ukraine hat uns die Einfuhrdokumente zugesandt, die wir nun dem Zollamt zur Prüfung vorlegen.
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Zuerst der Papierkram
Wie immer in Diakovo müssen humanitäre Helfer und LKW-Fahrer in einem Vorraum warten, in dem es nach Urin riecht. Auch die wiederholten Besuche der Putzfrau auf den Toiletten nebenan ändern nichts.
Der üble Geruch gehört ebenso zu den Formalitäten wie die allgemein säuerliche Haltung der Grenzbeamten. Durch eine Tür vor Kälte und Gestank geschützt, arbeiten die Zöllner in einem gut beheizten Büro.
Das Auto, das an einer ukrainischen Tankstelle angeboten wird.Bild: Raimond Lüppken
Einer der Anführer möchte nun sehen, welche Waren wir transportieren. Der Zollbeamte wirft nur einen flüchtigen Blick auf eine der sechs Kisten, der Inhalt interessiert ihn überhaupt nicht. Was ihn beunruhigt, ist nur, dass die Kisten in der Zollanmeldung nicht erwähnt werden – und der Autoklav auch nicht. Ich versuche ihm in meinem gebrochenen Ukrainisch die Situation zu erklären:
„Sie sind jedoch für ein Krankenhaus in Kramatorsk gedacht“
Aber es ist ihm egal. Für den Bürokraten zählen nur offizielle Dokumente.
Warten Godot
Ein Kollege kommt. Die uns vorbehaltene Behandlung scheint ihn zu stören. Er ruft die betreffende ukrainische Organisation an. Er klärt die Situation in wenigen Minuten und die Zollanmeldung wird plötzlich zu einer einfachen Formalität. Also warten wir draußen in der Sonne. Auf der Gegenfahrbahn ein Kleinbus mit Ukrainern, die nach Rumänien wollen. Ihre Papiere sind offenbar nicht in Ordnung, auch sie warten.
Drei Stunden später sind die Ukrainer immer noch da. Meine Geduld hat ihre Grenzen erreicht und ich rufe die humanitäre Organisation an und frage sie, was los ist. In der Ukraine ist die öffentliche Verwaltung weitgehend digitalisiert. Aber sie erklären mir, dass die Seite mit dem vielversprechenden Namen „Diia“ („Aktion“ auf Ukrainisch) tatsächlich offline ist.
Diia ist die ukrainische Abkürzung für „der Staat und ich“. Der Staat geht uns auf die Nerven, wenn er nicht handelt. Schließlich ist es unmöglich, die „kleine Formalität“, also die Aktualisierung der Erklärung, innerhalb einer angemessenen Frist zu erledigen.
Ich spreche noch einmal mit dem Chef und erkläre ihm, dass ich nach Rumänien zurückkehren werde, um der ersten Klinik, die vorbeikommt, die gesamte medizinische Ausrüstung anzubieten. Doch der Zollbeamte lässt sich nicht erweichen. Tatsächlich liegt es etwa 1.100 Kilometer von der Front entfernt und ist für unsere Infusionen kaum zu gebrauchen. In tiefem Schweigen gibt er uns unsere Pässe und unsere Erklärung zurück.
Kurt Pelda in der Ukraine: Er ist Kriegsreporter und arbeitet für CH Media, Watsons Verleger.
“Mit Drogen und AlkoholKein Problem”
Am benachbarten Grenzposten machen rumänische Beamte ihren ukrainischen Kollegen keinen Gefallen:
„Sie sind so dumm, du kommst, um ihnen zu helfen, und sie haben nichts Besseres zu tun, als dir Steine in den Weg zu legen.“
Ein rumänischer Zollbeamter ruft auf Englisch
Und ein anderer, älterer, fügte hinzu: „Mit Drogen- und Alkoholschmuggel ist das kein Problem, aber bei der humanitären Hilfe ist das eine andere Geschichte.“
In Halmeu, dem ersten rumänischen Dorf, frage ich die Apotheke um Rat. Der Mann hinter der Theke ist hilfreich: „Da bist du schon Zweiter“, sagt er mir.
„Vor nicht allzu langer Zeit kam ein Österreicher, die Ukrainer ließen ihn auch nicht mit seiner Hilfsausrüstung zurück“
Der freundliche Apotheker löste unser Problem schnell und stellte uns wenige Minuten später dem örtlichen Arzt vor. „Er betreut ein Gebiet mit rund 10.000 Einwohnern und ist sehr dankbar für Ihre Spende.“ Und so landen die rund 100 Kilo Material und der Autoklav in Rumänien und nicht im Kriegsgebiet bei Kramatorsk.
Nun ist die Zollanmeldung für ein leeres Fahrzeug korrekt und wenige Minuten später stempeln wir unsere Papiere beim ukrainischen Zoll ab.
Verlangsamen des russischen Vormarsches
Ein kleiner Trost lässt uns dieses Fiasko dann ein wenig vergessen: Hunderte Kilometer weiter im Inneren des Territoriums, auf der Autobahn Richtung Kiew, taucht plötzlich ein Polizist aus der Dunkelheit auf einem Fußgängerüberweg auf. Er schwingt einen roten Stock. Ich fuhr damals etwa 110 Stundenkilometer und hätte ihn fast verunglückt.
Aber es scheint, dass ich schuld bin. Am Fußgängerüberweg ist die Geschwindigkeit an dieser Stelle auf 50 km/h begrenzt. „Sie sind etwas zu schnell gefahren“, urteilt der Agent und fragt nach meinen Papieren.
Als ich ihm das Zürcher Meldedokument zeige, entdeckt er den Grenzschutzstempel. Und dann lesen Sie die Zollanmeldung. Er versteht, dass das Fahrzeug für wohltätige Zwecke bestimmt ist. Sein Gesicht hellt sich auf. Er möchte nur sicherstellen, dass sich keine Waffen im Kofferraum befinden. Dann dankt er uns für unsere Hilfe und lässt uns gehen.
Auf dem langen Weg nach Kiew treffen wir Bogdan, einen Offizier, der in der russischen Region Kursk kämpft und einen kurzen Urlaub zu Hause verbringt. Wir haben ihn bei einem früheren Bericht kennengelernt. Bogdan hat einen grauen Teint und sieht erschöpft aus. Darin wird von russischen Drohnen- und Artillerieangriffen berichtet. Seine Einheit erlebte auch die ersten Kämpfe gegen nordkoreanische Soldaten.
„Sie haben große Angst und helfen den Russen bisher nicht viel“
Bogdan, ein ukrainischer Kämpfer
Dennoch bleibt die Situation insgesamt schwierig. Auch wenn die russischen Gebietsgewinne in der Ukraine im Vergleich zum November zurückgegangen sind, von rund 25 Quadratkilometern pro Tag auf nur noch 16 Quadratkilometer. Der Einbruch des Winters hat zweifellos dazu beigetragen, genau wie die
erzwungener Abzug vieler russischer Kampfflugzeuge auf Stützpunkte im Hinterland. Moskau versucht damit, seine Bodenfahrzeuge gegen Angriffe ukrainischer Drohnen und gegen Offensiven Kiews mit westlichen Raketen zu schützen. Gleichzeitig kündigten die Ukrainer einen deutlichen Rückgang der Luftangriffe mit russischen Gleitbomben an.
Von der Generatoren falls
Kurz vor Kiew blitzt neben der Autobahn ein riesiger, hell erleuchteter Weihnachtsmarkt auf. Auf dem Parkplatz nebenan bemerken wir Hunderte von Autos. Die Szene wirkt surreal, denn alles drumherum scheint in Dunkelheit getaucht zu sein. Die Geschwindigkeit ukrainischer Techniker bei der Behebung der Schäden russischer Operationen an der Energieinfrastruktur überrascht uns immer wieder.
Kurz vor Weihnachten, in Kiew.Bild: Raimond Lüppken
Das Nationalmuseum des ukrainischen Kinos, untergebracht in einer ehemaligen sowjetischen Filmfabrik, erhielt ein besonderes Weihnachtsgeschenk. Dank Schweizer Spenden konnte der Verein Swiss UAid 53 Dieselgeneratoren kaufen. Sie wurden zur Umverteilung nach Kiew und Odessa transportiert. Diesmal gab es keine Probleme beim Zoll und Olena Hontcharuk, die Leiterin des Museums und der Filmbibliothek, kann sich nun freuen: Keine Stromausfälle mehr.
Olena Hontcharuk, Direktorin des Nationalen Kinomuseums, freut sich über einen von der Schweiz gespendeten Generator.Bild: Raimond Lüppken
Aber über den kulturellen Aspekt hinaus retten diese Generatoren manchmal Leben in Kriegslazaretten in frontnahen Regionen, oft ohne Strom. Sie garantieren Stromversorgung medizinischer Geräte und Beleuchtung während Operationen.
Französische Adaption: Valentine Zenker