Es piepst an diesem nebligen Morgen in Reigoldswil BL. Die Töne der Metalldetektoren sind über den Wind und das gelegentliche Krähen eines Güggels zu hören. Rund ein Dutzend Männer suchen in der Nähe der Talstation der Wasserfallen-Gondelbahn mit Geräten ein Feld ab. Hier wird Geschichte wieder ans Licht gebracht.
Es ist die Geschichte des Wasserfallen-Eisenbahntunnels. «Der Tunnel hat nationale Bedeutung. Es gibt in der Schweiz nur einen verschollenen Eisenbahntunnel, den man angefangen und dann vergessen hat.» Dies sagt Elisas Vogt, Projektleiter der Forschungsgruppe 150 Jahre Wasserfallenbahn und Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft Prospektion Schweiz, die unbekannte archäologische Fundstellen sucht.
Das 1875 gescheiterte Tunnelprojekt habe ihn schon als Kind fasziniert, sagt Vogt. Ende 2023 sei es ihm dann gelungen, einen Plan mit dem Stand der Bauarbeiten zu finden. «Dann habe ich auch die Tunneleingänge in Reigoldswil und Mümliswil SO gefunden.»
Das Ende der Wasserfallenbahn
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Der Wasserfallentunnel zwischen Mümliswil SO und Reigoldswil BL war als Verbindung zwischen Bern und Basel gedacht. Nach nur einem Jahr Bauzeit scheiterte das Tunnelprojekt 1875 aber bereits wieder – nur insgesamt circa 1000 Meter Stollen und Schächte wurden gegraben.
Scheitern brachte Elend
Die Baufirma ging Konkurs. Dies hatte schwerwiegende Folgen für die beiden Dörfer an den Tunnelportalen. Vor allem Mümliswil habe es hart getroffen, schildert Projektleiter Elias Vogt: «Viele Leute haben für die italienischen Arbeiter ihre Ställe und Dachböden ausgebaut, sehr viel Geld investiert. Als die rund 300 Arbeiter von einem Tag auf den anderen wieder abgereist sind, gingen viele Familien Konkurs.»
In der Folge wanderten zahlreiche Personen nach Amerika aus, wie die überlieferten Aufzeichnungen von Beat Walter zeigen, dem damaligen Ammann von Mümliswil-Ramiswil.
Ist die Centralbahn Schuld?
Innert Tagen ging 1875 die Baufirma, die den Wasserfallentunnel graben sollte, Konkurs. Pikantes Detail: Den Auftrag hatte die Firma ausgerechnet von der Schweizerischen Centralbahn erhalten, die mit dem Hauensteintunnel bereits eine Nord-Süd-Verbindung betrieb.
Unter diesen Voraussetzungen war der Konkurs keine Überraschung, ist Rémy Suter, Kurator des Ortsmuseums von Reigoldswil, überzeugt: «Der Wasserfallentunnel wäre eine Konkurrenz gewesen. Darum hat die Centralbahn sich um die Konzession bemüht, und das Projekt bewusst und gezielt zu Boden gefahren.»
Projektleiter Elias Vogt ist dieser Frage im Archiv nachgegangen: «Grobe Fahrlässigkeit lässt sich belegen, Absicht lässt sich aber schwer beweisen.»
Für den Bau des Tunnels wurde mit senkrechten Schächten gearbeitet. Diese Bauweise stellte sich schliesslich als Problem heraus: Die Schächte füllten sich mit Wasser. «Eigentlich keine Überraschung bei einem Berg, der ‹Wasserfallen› heisst», bemerkt Projektleiter Elias Vogt. Als die Baufirma Konkurs ging, hätten auch die Pumpen nicht weiterbetrieben werden können.
Das ist eine Zeitkapsel von 1875. Das ist schweizweit, vielleicht sogar weltweit, einzigartig.
Dies könnte sich für das Projektteam als Glücksfall entpuppen. Weil die Schächte innert kurzer Zeit mit Wasser gefüllt und später zugeschüttet wurden, könnte im Berg noch eine Überraschung warten: Vogt hat einen Stollen entdeckt, der circa 50 Meter lang ist. Er vermutet, dass dieser noch im Originalzustand ist: Holzstützen, Gleis, Tunnelwagen, Pumpen und Werkzeuge. «Das ist eine Zeitkapsel von 1875. Das ist schweizweit, vielleicht sogar weltweit, einzigartig», begeistert sich Vogt.
Allerdings liegt der Stollen hinter circa acht Metern Fels, zuhinterst im Vortunnel, der gleich neben der Talstation der Wasserfallen-Gondelbahn in den Berg führt. Noch fehlt dem Projektteam das Geld für die Grabarbeiten, rund 50’000 Franken. Stiftungen und Gemeinden seien beteiligt, sagt Vogt, der Rest soll über ein Crowdfunding zusammenkommen.
Erkenntnisse über die Leute, die hier gearbeitet haben
Das Forschungsprojekt hat die Bewilligung der beiden Kantonsarchäologien Solothurn und Baselland. Andreas Fischer von der Archäologie Baselland ist gespannt auf die Erkenntnisse: «Was häufig fehlt, sind die ganz alltäglichen, kleinen Geschichten, die von den Leuten erzählen, die hier ihr Leben gefristet haben.» Spannend sei zum Beispiel, wie die je rund 300 Arbeiter auf der Nord- und Südseite gelebt oder mit der einheimischen Bevölkerung interagiert hätten. Solche Aspekte fehlten in den Überlieferungen.
Einer der Metalldetektoren piepst erneut. Beim Graben kommt zunächst bloss ein Stückchen Alufolie zum Vorschein – Abfall. Später finden die Prospektoren aber einen Löffel, einen Teil einer Mundharmonika und ein Medaillon. Ebenfalls ans Licht kommen Überreste des Gebäudes, das über einem der Schächte stand.
Das sind die Überbleibsel des Tunnelbaus, die an der Oberfläche zu finden sind. Ob im Berg noch mehr Schätze warten, zeigt sich erst, wenn der Stollen angebohrt werden kann.