Gregor Kobel im Training vor dem Spiel gegen Serbien.Bild: Schlussstein
Am Freitag gegen Serbien bestreitet Gregor Kobel sein fünftes Spiel als Schweizer Nummer 1. Das Wirken seines Vorgängers hallt im und ums Team nach.
Sebastian Wendel / ch media
Öffentlich sagen würde er das nie, dazu ist er viel zu kontrolliert. Aber dass Yann Sommer (35) tief im Innern einen Hauch Genugtuung verspürte, als er auf dem heimischen Sofa die vier Spiele der Schweizer Nati seit seinem Rücktritt verfolgte, davon ist auszugehen. Oft wird einem die Bedeutsamkeit eines Spielers ja erst bei dessen Fehlen vor Augen geführt.
Auf acht Sommer-Jahre in der Nati folgte das Sommer-Loch. Mit zehn Gegentoren in vier Spielen. Nachfolger Gregor Kobel (26) hat bislang nicht den Nachweis erbracht, für die Mannschaft die gleiche Stütze sein zu können wie Sommer. Frei nach der Devise: Nati-Stammgoalie sein wollen und Nationalgoalie sein, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Schon lange vor Sommers Rücktritt baggerten Kobel und dessen Umfeld am Platz im Nati-Tor.
Gregor Kobel (rechts) stand lange Zeit im Schatten von Yann Sommer.Bild: KEYSTONE
Ist Gregor Kobel also gar nicht so gut wie gedacht? Nun: Die momentanen Zahlen können zu diesem Schluss führen. Zehn Gegentore in der Nations League A sind Negativrekord. Und höher als der xCG-Wert (8,1), die Anzahl erwartbarer Gegentore gemessen an der Chancenqualität. Knapp jeder dritte Abschluss fand den Weg in Kobels Tor. Aus gegnerischen Grosschancen resultierten mehr Gegentore als Paraden Kobels. Und besonders auffällig: Etwa die Hälfte seiner langen Zuspiele landete beim Gegner.
Letzteres funktioniert im Kluballtag zwar besser. Aber sonst gilt auch im Trikot von Borussia Dortmund: In der Paradedisziplin des Goalies, dem Verhindern von Gegentoren, sind Kobels Werte nicht gerade prickelnd. So kassiert er mit dem BVB analog zur Nati mehr Gegentore, als er verhindert, 1,6 sind es im Schnitt pro Spiel. In der letzten Saison waren es noch 1,1 und der Bestwert aller Bundesliga-Goalies.
Sommers Wirken in der Nati hallt nach
Zusammengefasst: Die Saison 2024/25 verläuft bis dato enttäuschend. Dabei sollte sie durch die neue Doppelrolle als Nummer 1 im Klub und im Nationalteam zu Kobels bislang bedeutendster seiner Karriere werden. «Alle drei Tage ein Spiel zu meistern, mental und körperlich, das ist ein Lernprozess», sagt Nati-Direktor Pierluigi Tami. Eine Aussage, mit der Tami Kobel einerseits in Schutz nimmt. Anderseits aber auch durchblicken lässt, dass die Nati im Tor noch keinen «neuen Sommer» hat.
Um sein Potenzial komplett entfalten zu können, muss Kobel das hundertprozentige Vertrauen von Mitspielern, Trainerstab und Funktionären spüren. Doch Sommers Wirken in der Nati hallt nach. Vor allem die Bewunderung für dessen fussballerische Künste: Es gibt diesbezüglich vielleicht keinen besseren als Sommer – gleichzeitig ist das Passspiel Kobels einzige Schwäche.
Kobel hatte einen schlechten Einstand als neue Nummer 1.Bild: Schlussstein
Wer Kobel kennt, der weiss: Ihn wurmt der bittere Start als Nati-Stammgoalie am meisten. «Ich habe es mir natürlich anders vorgestellt», sagte er Mitte Oktober nach dem 0:2 in Serbien – und fügte an, dass es nun mal das Los des Goalies sei, nach so vielen Gegentoren irgendwie schlecht dazustehen, auch wenn ihn bei keinem eine Schuld treffe.
Kobels Startprobleme liegen in Nati-Abwehr
Diesbezüglich gibt es andere Sichtweisen. Die Kritiker monieren auch, Kobels Aura der vergangenen Jahre habe Schaden erlitten. Mag sein, dass er gerade eine Schwächephase durchmacht. Aber generelle Zweifel an Kobels Qualität? Sind mit Sicherheit fehl am Platz. Dafür waren seine Leistungen in der Bundesliga in den vergangenen Jahren viel zu gut. Wohlgemerkt ist im Torhüter-Land Deutschland für Ausländer die Hürde besonders hoch, um wie Kobel von einer Fachjury zweimal in Folge zum Klassenbesten gekürt zu werden.
Kobel gehört zu den besten Torhütern der Bundesliga.Bild: Schlussstein
Vielmehr sind die Gründe für Kobels Startprobleme in der gesamthaften Entwicklung der Nati-Abwehr zu finden. Fabian Schär? Ist wie Sommer nach der erfolgreichen Europameisterschaft zurückgetreten, ein Ersatz noch nicht gefunden. Manuel Akanji? Noch nicht wieder in EM-Form. Ricardo Rodriguez? Sitzt bei Betis Sevilla draussen.
In allen vier Spielen in diesem Herbst änderten Personal und System der Abwehr – und das alles vor einem neuen Goalie. An ein blindes Verständnis, wie es Vorgänger Yann Sommer mit Akanji und Co. hatte, ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken. Und sowieso: Was kann der Goalie dafür, wenn seine Vorderleute derart dilettantisch verteidigen wie die Schweizer in Überzahl beim 1:4 gegen Spanien oder vor dem Gegentor zum 0:1 zuletzt gegen Dänemark (Endstand 2:2)? Sein Gesichtsausdruck liess erahnen, was Kobel da jeweils durch den Kopf ging.
Die Situation des Klubs geht Kobel gegen den Strich
Am 29. Oktober war es mehr als nur der Gesichtsausdruck: Nach dem Ausscheiden mit Dortmund aus dem DFB-Pokal gegen Wolfsburg, als müsse der ganze Frust über die letzten Monate raus, pfefferte Kobel seine Handschuhe zu Boden – zähnefletschend und begleitet von einem Urschrei.
Die Situation seines Klubs schlägt ihm genauso aufs Gemüt wie jene in der Nati. Im Pokal draussen, in der Bundesliga nur Siebter, schon zehn Punkte hinter Tabellenführer Bayern München – einmal mehr verliert der BVB früh in der Saison die hohen Ziele aus den Augen.
So verhindert die Nati den Abstieg:
Intern brodelt es in Dortmund, es geht um Machtspiele und die Schönwetter-Fussball-Mentalität, die den Klub schon ewig verfolgt. Und die Ehrgeizling Kobel gegen den Strich geht. Gut möglich, dass er im Hintergrund einen Klubwechsel im Sommer 2025 forciert, um woanders nicht nur die Aussicht auf Pokale, sondern auch sein Passspiel zu verbessern. Ihm und der Schweizer Nati käme das entgegen. (aargauerzeitung.ch)