Der Schweizer Zoll startete eine historische Operation

-

Asiatische Online-Shops überschwemmen den Schweizer Markt nicht nur mit Billigprodukten, sondern auch mit illegalen Produkten. Wie suchen Zollbeamte nach verdächtigen Paketen?

Andreas Maurer und Sandra Ardizzone / ch media

Das grösste Logistikzentrum der Spedition DPD in der Schweiz befindet sich in einer Industriehalle in Buchs (ZH). Täglich laufen 80.000 Pakete über die Förderbänder. Ständig treffen neue Lkw ein, die meisten davon direkt vom Flughafen Zürich-Kloten.

Aber heute ist in der Lobby nicht alles so wie bisher. Zöllner in blauen Uniformen und gelben Leuchtwesten richteten vor den Förderbändern einen Kontrollpunkt ein. An insgesamt zehn Standorten führen sie gleichzeitig die grösste Warenverkehrskontrolle in der Geschichte des Schweizer Zolls durch. Vierzig Menschen werden fünf Tage lang mobilisiert.

Bild: Sandra Ardizzone

Auf dem Luftweg gelangen so viele Pakete in die Schweiz, dass Kontrollen am Flughafen den Verkehr behindern würden. Deshalb sucht der Zoll dezentral nach illegalen Sendungen in den Logistikzentren der Transportunternehmen.

Der Zoll reagiert auf den Versandboom mit verstärkten Kontrollen. Während der Pandemie entdeckten auch Menschen, die sonst lieber im Laden einkaufen, die Vorteile des Online-Shoppings. Gleichzeitig haben Plattformen aus Asien ihr Angebot erweitert und ihre Transportketten beschleunigt.

Seitdem überschwemmen Plattformen wie Temu, Shein oder Wish den Schweizer Markt nicht nur mit Billigprodukten, sondern auch mit illegalen Produkten. Alles kann mit einem Klick bestellt werden: illegale Waffen, Doping, Impotenzmittel, Drogen oder exotische Produkte wie Haifischleberöl. Mit dem Black Friday am 29. November beginnt erneut die Hochsaison für den Online-Handel, die bis Weihnachten andauern wird.

Hergestellt in China: Diese Ware ist verdächtig

Am Rand der Halle parkt ein grauer Bus. Drinnen sitzt ein Zollbeamter vor seinem Bildschirm. Jede Sekunde erscheinen neue Röntgenbilder. Damit beobachtet er, wie die Sendungen seiner Kollegen über ein Förderband in sein Fahrzeug gelangen.

Der Zollbeamte im grauen Lieferwagen durchsucht die Ware.Bild: Sandra Ardizzone

Sie blockierten den Versand von Paletten mit verdächtigen Sendungen und prüfen nun, ob der Verdacht begründet war. Aus ermittlungstaktischen Gründen wollen sie nicht verraten, nach welchen Kriterien sie die Pakete erkennen. Die Tabelle der beschlagnahmten Objekte gibt jedoch einen Hinweis: Die meisten sind „made in China“.

Röntgenstrahlen pro Sekunde: Schlagring, Wurfstern, Axt und Schläger.

Röntgenstrahlen pro Sekunde: Schlagring, Wurfstern, Axt und Schläger.Bild: Sandra Ardizzone

Die Farbe auf Röntgenbildern verrät nur das Material. Der Zollbeamte vor dem Bildschirm sieht Plastikgegenstände. Als kleine grüne Punkte auftauchen, sagt er: „Das sind billige Strasssteine.“ Kunststoffperlen. Dann entdeckt er Flaschen:

„Es könnte ein leistungssteigerndes Medikament sein oder eine chinesische Gesichtscreme“

Ein DPD-Mitarbeiter schneidet die Verpackung auf. Aus versicherungstechnischen Gründen kann der Zoll dies nicht selbst erledigen. Fehlalarm: Es handelt sich nur um Schönheitsprodukte. Sie klebt alles wieder zusammen und schickt es über ein Förderband wieder auf den Weg zum Transport.

Eine Waffe für Frauen

Doch nun erscheint ein Metallbalken auf dem Bildschirm. Auf den ersten Blick erscheint auch dieser Versand harmlos. Hierbei handelt es sich um mehrere Schlüsselanhänger, die speziell für weibliche Kunden entwickelt wurden. Alle sind lilafarben, einer davon ist mit Plüsch bezogen.

Neues Gadget für Frauen: ein Kubotan, eine illegale Klingenwaffe am Schlüsselring.

Neues Gadget für Frauen: ein Kubotan, eine illegale Klingenwaffe am Schlüsselring.Bild: Sandra Ardizzone

Für den Laien ist der verbotene Gegenstand als solcher nicht erkennbar: Er ist etwas länger als ein Kugelschreiber, endet vorne in einer Spitze und hat in der Mitte vier Rillen für einen festen Halt. Es ist ein Kubotan.

„Das ist eine gefährliche Entwicklung“, betont Tanja Brunner, Leiterin des Zürcher Zolls. Sie ist diejenige, die den Betrieb leitet. Kubotaner machen mittlerweile den Großteil der beschlagnahmten Waffen auswie die gezielte Kontrolle zeigt.

Der Erfinder und Namensgeber der Waffe ist der Japaner Takayuki Kubota in den 1960er Jahren. Er entwickelte diese Klingenwaffe für die Polizei von Los Angeles. Verschiedene asiatische Kampfsportarten nutzen es zusätzlich als Druckpunktverstärker. Die Kämpfer erfahren so, welche Körperpunkte des Gegners sie bei welchen Verletzungen treffen müssen.

Ein Kubotan ist nicht gefährlicher als ein Schraubenzieher oder eine Schere. Entscheidend ist die Nutzung. Nach schweizerischem Recht ist eine Waffe im Gegensatz zu einem Werkzeug ein Gerät, das dazu bestimmt ist, Menschen zu verletzen. Aus diesem Grund sind manche Messer verboten, andere nicht. Und deshalb ist auch Kubotan verboten. Sein einziges Ziel ist es, zu verletzen.

Im Online-Handel werden Kubotane sicherlich hauptsächlich zur Selbstverteidigung angepriesen. Anders als Pfefferspray könnten Frauen dieses Gerät diskret in der Hand halten und so überraschen, heißt es in den Werbetexten. Mit einem gezielten Schlag kann es körperlich überlegene Gegner außer Gefecht setzen. Pfeffersprays, die nur Pfeffer enthalten, hinterlassen hingegen keine Wunden und sind daher im Fachhandel ab 18 Jahren ohne Waffenschein erhältlich.

Kubotan ist ein Synonym für die Aufrüstung des Nachtlebens. Junge Männer haben immer mehr Klappmesser in der Tasche. Manchmal hängen junge Frauen einen dieser Metallstifte an ihrem Schlüsselbund.

Der Zoll beklagt Personalmangel

Während der Inspektion Der Zoll wird knapp 700 Sendungen mit illegalen Waren finden. Sie enthalten unter anderem 241 Drogen, 79 Waffen und 71 Laserpointer. Hinzu kommen 543 gefälschte Marken als Beifänge. In allen genannten Kategorien steht ein Land an der Spitze der Herkunftsliste: China.

Illegal? Ein Zollbeamter bei der Arbeit.

Illegal? Ein Zollbeamter bei der Arbeit.Bild: Sandra Ardizzone

Im mehrjährigen Vergleich stellt der Zoll schwankende Zahlen fest. In einem Jahr werden beispielsweise mehr Waffen beschlagnahmt, im darauffolgenden Jahr etwas weniger. Allerdings sagen diese Daten nicht viel über den Online-Handel aus, sondern eher über die Situation des Zollpersonals.

Wer sucht, findet. In den Jahren, in denen die Fallzahlen zurückgingen, fehlten dem Bundeszoll- und Grenzschutzamt die Ressourcen, um Pakete zu überprüfen.

Hinter vielen illegalen Lieferungen steckt jedoch keine böse Absicht. Zollchef Brunner erkennt das:

„Für Kunden ist es manchmal schwierig zu erkennen, ob sie verbotene Produkte bestellen“

Sein Team suchte auf relevanten Online-Plattformen nach illegalen Produkten, um den Fokus der Prioritätsprüfung anzupassen, und fand viele irreführende Hinweise in Produktbeschreibungen. Bei Kubotanen beispielsweise wird oft behauptet, dass es sich auch nach Schweizer Recht nicht um Waffen handele.

Doch Unwissenheit schützt nicht vor Sanktionen. Der Zoll beschlagnahmt die Ware und überweist sie an die kantonale Staatsanwaltschaft. Für die Behörden sind Paketkontrollen zu einer Massenangelegenheit geworden. Fast täglich erlassen die grossen kantonalen Staatsanwaltschaften Strafbefehle zu diesem Thema. Dabei handelt es sich um Urteile im beschleunigten Verfahren, bei denen Ermittler auch als Richter fungieren.

„Ich werde nie wieder bei Wish bestellen“

Soeben ist eine Strafverfügung der Staatsanwaltschaft Aargau in Kraft getreten. Hans S. (Name geändert), ein 52-jähriger Aargauer, bestellte über die Wish-App eine Luftpistole und drei Teleskopschlagstöcke. Wish ist eine amerikanische Verkaufsplattform, die hauptsächlich chinesische Produkte zu günstigen Preisen verkauft.

Der Zürcher Zoll beschlagnahmte die Luftpistole, da sie als Nachahmungswaffe gilt. Es ist verboten, da es mit einer echten Schusswaffe verwechselt werden kann. Bei Schlagstöcken handelt es sich um verbotene Waffen, die nur mit einer Einfuhrgenehmigung erworben werden dürfen.

Die Staatsanwaltschaft verhängte eine Geldstrafe von 40 Tagen und eine Geldstrafe von 30 Franken, fest. Zahlt der Mann die 1200 Franken nicht, muss er 40 Tage im Gefängnis verbringen. Hinzu kommen 2380 Franken Verfahrenskosten.

Damit ist Hans S. finanziell ruiniert. Er lebt von einer AI-Rente von 900 Franken und zahlt seine Strafe in Raten. Die Bestellung hatte nur 100 Franken gekostet:

„Ich habe die Waffe als Geschenk für meinen kleinen Jungen bestellt, die Stöcke zum Training. Ich praktiziere Kampfsport.

Zudem ist er Jäger und besitzt somit einen Waffenschein, jedoch nicht für Schlagstöcke.

Auf der Verkaufsplattform wurden die Produkte als legal dargestellt. Hans S. hat aus dieser Affäre Lehren gezogen:

„Ich werde nie wieder etwas bei Wish bestellen“

Übersetzt und angepasst von Chiara Lecca

-

PREV Wir kennen die Top 6. – Le Petit Journal
NEXT Wut der Bauern: Was erwartet uns diesen Montag in der Picardie?