Die Schulglocke läutet, die Kinder rennen zu ihren Eltern. In Esteville, einem kleinen normannischen Dorf, in dem Abbé Pierre begraben liegt, hat der Beginn des Schuljahrs einen bitteren Beigeschmack, nachdem es neue Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen die katholische Ikone gegeben hat.
Die Folge: Die Gedenkstätte für Abbé Pierre, einen führenden Mann im Kampf gegen die soziale Notlage, werde geschlossen, teilten Emmaüs und die Abbé-Pierre-Stiftung mit, die ihrerseits ihren Namen ändern werde.
Dieses Zentrum „ist Teil des Dorfes, es hat ihm ein wenig Leben eingehaucht“, bis es im Juli, kurz nach den ersten Enthüllungen, vorübergehend geschlossen wurde, bedauert Marjorie, eine 32-jährige Mutter, die ihre Kinder abholen kam.
Diesmal wird die Schließung dauerhaft sein. Laut der Website des Ortes wurden vor einigen Monaten noch bis zu 300 Besucher pro Tag empfingen.
Auch die Dorfschule, die ebenfalls den Namen des Priesters trägt, soll umbenannt werden – sehr zum Bedauern der 37-jährigen Charlyne Henry, deren Kinder diese Schule besuchen.
„Die Kinder zahlen den Preis: Wegen der Affäre wurde das Kinderfest in diesem Sommer abgesagt, es ist die Rede davon, die Schule umzubenennen und das Fresko (das ihm Tribut zollt) zu überdecken“, seufzt sie. „Es ist traurig. Es stört das Dorf ein wenig.“
Nicht weit von ihr entfernt stimmt ihr die 31-jährige Elodie Ringot zu: „Das ist eine dumme Entscheidung. Er hat vielleicht Schaden angerichtet, aber er hat auch viel Gutes für die Armen getan.“
Sie bedauert, dass sein Name, der „mit der Kommune in Verbindung gebracht wird“, durch „Anschuldigungen missbraucht wird, die Jahre nach seinem Tod ans Licht kommen, ohne dass er sich verteidigen kann“.
Nach ersten Zeugenaussagen, die Mitte Juli aufgetaucht waren, ist in dem am Freitag veröffentlichten Bericht der Beratungsfirma Egaé von „erzwungenen Küssen“, erzwungenem Fellatio, sexuellen Kommentaren und „sexuellem Kontakt mit einem Kind“ die Rede.
– „Friedliches Dorf“ –
Unter blauem Himmel tummeln sich die Schüler der Abbé-Pierre-Schule an den ebenfalls grauen Absperrungen, in die sein Name eingraviert ist. Die Schule liegt neben dem Rathaus, einem zweistöckigen Gebäude aus rotem Backstein.
Am Freitag, kaum eine Stunde nach den Enthüllungen des von den Organisationen Fondation Abbé-Pierre und Emmaüs in Auftrag gegebenen Egaé-Berichts, klingelt das Telefon ununterbrochen und der Bürgermeister Manuel Grente jongliert zwischen den Anrufen.
„Ich habe damit gerechnet, dass neue Vorwürfe wegen sexueller Nötigung ans Licht kommen, aber nicht damit, dass das Zentrum endgültig geschlossen wird“, sagte er in seinem Büro gegenüber AFP.
Mit grauem Bart und dunkler Brille erzählt der Bürgermeister, was die Schule dem Abt zu verdanken hat: Die Schule, die Schüler vom Kindergarten bis zur CE2 aufnimmt, war eine Reihe von Fertiggebäuden. „Nur durch die Intervention von Abbé Pierre persönlich beim Bildungsministerium konnten wir eine Schule mit soliden Wänden und einem richtigen Dach bauen.“
Aber, so fährt er fort: „Ich verstehe diese Entscheidung: Angesichts der Fakten und wenn es zu Angriffen auf Kinder kommt, ist die Debatte schnell beendet.“
„Wir werden den Namen der Schule ändern, das Fresko mit seinem Bild und die Absperrungen, auf denen ‚+Groupe scolaire Abbé Pierre‘ steht“, erklärt er, nennt jedoch auch die Kosten dieser Änderungen einer ersten Schätzung zufolge: rund 20.000 Euro, „eine Summe für ein Dorf wie Esteville“.
Die Gemeinde Seine-Maritime, in der rund 500 Menschen leben, hatte nach den ersten Enthüllungen bereits Ende Juli Absperrungen rund um das Zentrum errichtet.
Der Bürgermeister fordert nun die Abbé Pierre Foundation auf, „die Sicherung des Geländes zu übernehmen“, da er „Aktionen“ von Aktivisten befürchtet.
„Wir wollen ein friedliches Dorf bleiben“, fordert er.
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