Nuri Sahin hielt es nicht für nötig, über sich zu reden. Wie es ihm gelungen sei, seiner Mannschaft neuen Glauben einzuimpfen nach zuletzt drei Niederlagen, wurde Borussia Dortmunds Trainer im Anschluss an das 2:1 gegen RB Leipzig gefragt, das dem Sinkflug des BVB ein Ende gesetzt hat, zumindest für den Moment. Ach, Glauben, sagte Sahin: „Auch wenn wir sieben Mal hintereinander verlieren würden – ich glaube an diese Mannschaft, und die Jungs glauben an sich.“ Der junge Coach blieb demütig, verzichtete darauf, den Sieg gegen den Tabellenzweiten nach der besten Dortmunder Bundesliga-Leistung der Saison als persönlichen Triumph zu reklamieren. Dabei war er das. Der bisher größte in Sahins kurzer Zeit im Amt.
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Der 36 Jahre alte Ex-Profi ist seit dieser Saison für den BVB verantwortlich, und vor dem Treffen mit Leipzig erlebte er die erste Krise seiner Karriere als Borussen-Trainer. Nach einem wechselhaften Start in die Spielzeit und zuletzt Niederlagen in der Champions League bei Real Madrid (2:5), in der Bundesliga beim FC Augsburg (1:2) und im Pokal beim VfL Wolfsburg (0:1 nach Verlängerung) wird Sahin von öffentlichen Zweifeln an seiner Eignung für den Job beim nominell zweitgrößten deutschen Verein begleitet. Wäre auch die Partie gegen RB verloren gegangen, hätten sich die Dortmunder auf eine Trainer-Debatte einstellen müssen, die sie so schnell nicht losgeworden wären. Und die Signale standen nicht auf Erfolg, denn der BVB ist von einer epischen Verletzungsmisere geplagt. Gleich zehn Spieler fehlten Sahin in seinem bisher wohl wichtigsten Spiel.
Ich war’s nicht: BVB-Trainer Nuri Sahin.
Quelle: Fotoagentur Picture Point
Man kann resignieren angesichts dieser Voraussetzungen, doch Resignation, das hatte der Trainer verfügt, würde es beim BVB nicht geben. Sahins Auftritt an der Seitenline passte zu dieser Vorgabe. Er verfolgte die Partie gegen Leipzig komplett im Stehen, versteckte sich nur selten unter dem Dach der Trainerbank. Nach jeder vergebenen Chance applaudierte er, und seine Mannschaft vergab viele Chancen. Anstatt zu hadern, sandte Sahin positive Signale. Immer wieder konnte man erkennen, dass seine aktive Karriere noch nicht lange her ist. Bei Dortmunder Flanken bewegte Sahin den Oberkörper nach vorne, als würde er den Ball per Kopf verwerten wollen. Nach einem Körpereinsatz von Julian Brandt im Mittelfeld hob Sahin entschuldigend die Hände – als hätte er selbst einen Leipziger Spieler zu Fall gebracht.
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BVB-Coach aktiv – und ein Stratege
Sahin war extrem aktiv. Er zeigte seinen Spielen an, wohin sie zu laufen hatten, wo ein freier Passweg war. Dabei wirkte er nicht hektisch oder verbissen, sondern sachlich und unaufgeregt. Er ist offensichtlich kein Trainer, der für die Kamera coacht oder das Publikum anstachelt wie einst Jürgen Klopp. Nur einmal ging Sahin gegen Leipzig so richtig aus sich heraus. Das erste Tor durch Maximilian Beier zum 1:1 nahm er noch vergleichsweise ruhig zur Kenntnis. Nach dem 2:1 durch Serhou Guirassy aber lief er Richtung Mittellinie und sprang in die Luft. Möglicherwiese fiel in diesem Moment die Anspannung der vergangenen Tage von ihm ab.
Auf den Schlusspfiff reagierte Sahin ohne triumphierende Geste. Er ballte die Faust, gab seinem Leipziger Kollegen Marco Rose die Hand und feierte den Sieg innerlich. Sahin wusste, dass es keinen Grund zum Überschwang gibt. Die Leistungsschwankungen des BVB sind legendär. Die aktuelle Saison ist geprägt vom Wechsel zwischen ordentlichen (im eigenen Stadion) und verheerenden (auswärts) Leistungen. Doch der überzeugende Sieg mit einem Not-Aufgebot über den Tabellenzweiten Leipzig ist ein Erfolg für Sahin. Zumal das Ergebnis durch einen taktischen Kniff des Trainers zustande gekommen war. Dortmund spielte mit nur einem defensiven Mittelfeldspieler (Felix Nmecha) statt wie gewohnt mit zweien. Inspiriert wurde Sahin dazu nach eigener Aussage durch die Aufritte gegen RB unter dem einstigen Dortmunder Trainer Thomas Tuchel. Nach den deprimierenden Spielen zuletzt profilierte sich Sahin gegen Leipzig als Stratege.
Am Ende des Abends machten dem Trainer sogar die Dinge gute Laune, die nicht gelungen waren. Warum Dortmund nicht mehr als zwei Tore geschossen habe, die Chancen seien da gewesen, fragte Himmel-Fachmann Lothar Matthäus. „Ich habe keine Ahnung, ehrlich gesagt“, sagte Sahin – und lachte. Das kann er also noch nach der ersten Krise seiner Amtszeit.
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