Am Dienstag ist Wahltag in den USA, und das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump äusserst knapp. Was vor vier Jahren undenkbar schien, scheint heute durchaus möglich.
Blau ist die Farbe der Demokraten, Rot jene der Republikaner: Unterstützer von Kamala Harris an einer Veranstaltung in Las Vegas (links), ein Anhänger Donald Trumps an einem Rally in New York.
Vier Jahre ist es nun her, dass Donald Trump versucht hatte, den Vertreter eines Gliedstaates dazu zu drängen, für ihn in Georgia «11 780 Stimmen zu finden», und später einen aufgebrachten Mob Richtung Capitol marschieren liess, um die Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg zu stoppen.
Amerika und die Welt schauten am 6. Januar 2021 entsetzt nach Washington, wo aufgebrachte Bürger, Schläger und bewaffnete Milizen ins Parlament eindrangen. Und manch einer dachte sich danach: Immerhin ist Trump nach diesem offenen Angriff auf die Demokratie der USA politisch am Ende.
Falsch gedacht. Trump steht heute vor einem möglichen Wahlsieg. Das Rennen gegen Kamala Harris ist äusserst knapp, der Ex-Präsident hat in vielen Umfragen sogar die Nase vorn. Wie ist es möglich, dass der Mann, der als erster Präsident der jüngeren Geschichte seine Wahlniederlage 2020 nicht anerkannte und einen friedlichen Machtübergang torpedierte, nochmals Präsident werden könnte?
Vordergründig kann man Joe Biden die Schuld geben, sollte Trump gewinnen. Er wollte zu lange nicht einsehen, dass er zu gebrechlich ist für eine zweite Amtszeit. Grosse Geldgeber mussten ihn zum Rücktritt regelrecht zwingen. Dass ihn die Granden der Partei nicht viel früher ausgewechselt und Vorwahlen veranstaltet haben, hat aber durchaus einen Grund: Sie wussten wohl, dass nur Joe Biden Donald Trump schlagen kann. Er hatte es einmal geschafft, er würde es wieder tun.
Denn Biden war einer, der nicht nur in linken Kreisen ankam, sondern auch bei einfachen Leuten ohne Hochschulabschluss, progressives Gedankengut und politisch korrekte Redeweisen. Das ist noch immer die Mehrheit des Elektorats.
Kamala Harris hat Mühe, diese Leute zu erreichen. Dass sie Tim Walz an ihre Seite holte, den früheren Lehrer und Football-Coach aus Minnesota, half da nur wenig. Fakt ist: Die Demokraten haben ihre traditionelle Wählerbasis verloren, auch wenn sich Biden sehr um sie bemühte. Viele sind dennoch zu Trump übergelaufen. Das ist das grosse Problem der Partei. Auch die afro- und hispanoamerikanischen Männer aus dieser Schicht brechen den Demokraten weg.
Vordergründig könnte man auch der republikanischen Partei die Schuld geben, sollte Trump gewinnen. Sie hat sich selbst verraten. Zwar gab es nach dem 6. Januar republikanische Kritiker Trumps, doch einer nach dem andern kehrte reuig zu Trump zurück und küsste ihm den Ring. Als Zeichen der Loyalität mussten sie seine Lüge vom Wahlsieg verbreiten. Wer sich weigerte, dem drohte das politische Aus.
Frei von Ideologie oder Vision, nur auf sein Ego bedacht, hat Trump die Grand Old Party zertrümmert. Mit einer anscheinend ungeheuren Leichtigkeit.
Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, versuchte sich zwar eine Weile als «Trump mit Hirn» zu verkaufen, doch ihm fehlt die Verbindung zur Basis, er war zu ungelenk. Auch Nikki Haley, die ehemalige Gouverneurin von South Carolina, blieb chancenlos.
Trump schlug alle seine innerparteilichen Konkurrenten, weil er immer auf seine Wählerbasis zählen konnte, die ihm bis heute treu ergeben ist. Und diese Wählerbasis konnte er im Rennen gegen Harris ausweiten.
Es sind jene einfachen Leute, die in den letzten Jahren unter der Inflation gelitten haben. Jene Leute, für die es einen Unterschied machte, dass Brot nicht mehr 99 Cent kostete, sondern 2 Dollar. Jene Leute, die nicht verstehen, weshalb immer mehr Migranten ins Land strömen und ihre prekäre Situation noch prekärer machen. Jene Leute, die keine Milliarden in fremde Kriege stecken möchten, die man – einmal mehr – nicht gewinnen kann. In ihrer Wahrnehmung gab es zudem unter Trump keine Inflation, es gab keinen Krieg, und Trump schützte das Land mit einer Mauer.
Viele seiner Wähler bejubeln allerdings durchaus nicht blind jeden Schwachsinn, den Trump von sich gibt. Sie unterstützen auch nicht zwingend jede seiner Verschwörungstheorien, seine faschistische Sprache oder seine Vulgarität. Es interessiert sie schlicht nicht, was er alles sagt. Relevant ist für sie allein, dass die Wirtschaft unter Trump in ihrer Erfahrung hervorragend lief. Deshalb wollen sie ihn zurück. «Trump will fix it», das stand kürzlich auf einer Leuchtreklame bei einem Rally in New York. Genau das glauben sie. Trump wird es richten.
Amerikaner scheinen sich in diesen unsicheren Zeiten nach einem Mann zu sehnen, der ihre Probleme lösen kann. Trump trauen sie das zu. Alles andere ist für sie zweitrangig. Auch die Demokratie.
Es ist zu hoffen, dass Trump nicht auch diese mit ungeheurer Leichtigkeit zertrümmert.
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