Dresden. Es gibt einen Satz, der beschreibt Camillo Hahn wie kein anderer. „Ich liebe es, mich selber zu quälen“, sagt der 18-jährige Dresdner. Er redet von den vergangenen Monaten: Am 3. Juni ist Camillo zu einer Radreise aufgebrochen. Die hat es in sich: 103 Tage, 7.167 Kilometer, von Dresden bis nach Nouadhibou im nordwestlichen Afrika.
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Manchmal wird Camillo auf seiner Reise von Autofahrern mitgenommen, einmal fährt er mehrere Tage mit einem anderen Deutschen. Die meiste Zeit verbringt er aber alleine. Nur das Fahrrad und er und „Hardcore oder französischen Rap auf den Ohren“. Eine Radreise zum Nordkap oder anderen beliebten Orten machen viele Menschen, sagt Camillo. „Ich wollte etwas Besonderes erleben, Orte sehen, an die nicht so viele Menschen kommen.“
Knapp 3.000 Meter hohen Gipfel in Flipflops bestiegen
In den ersten Wochen durchquert Camillo Hahn Deutschland, Luxemburg, Belgien und Frankreich. Am 9. Juli macht Camillo einen Zwischenstopp in den Pyrenäen. Er erklimmt den Pic du Midi d‘Ossau, einen der bekanntesten Gipfel im französischen Gebirge. Der Berg ist 2.884 Meter hoch – Camillo besteigt ihn in Flipflops. „Beim Aufstieg musste ich barfuß ein Schneefeld durchqueren“, sagt der 18-Jährige. „Ich dachte, meine Füße fallen ab.“
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Die Reise hat gerade erst begonnen: Camillo mit seinem Gravelbike am ersten Tag in Dresden.
Quelle: privat
Weiter geht es durch Spanien. Am 55. und 56. Tag seiner Reise wird Camillo krank, kann nicht schlafen, muss sich mehrfach übergeben. Bei einer Außentemperatur von 35 Grad Celsius schwitzt er in seinem Ein-Mann-Zelt. „Aber auch damals habe ich nicht ans Aufgeben gedacht“, sagt Camillo heute. „Ich hatte mein Ziel vor Augen, wollte unbedingt bis Mauretanien kommen.“
Blick vom Pic du Midi d‘Ossau: Camillo besteigt den Berg in Flipflops.
Quelle: privat
Weitere Herausforderungen lauern auf der Strecke. Nachdem Camillo sein Rad durch einen Dornenbusch zwängt, hat er einen Platten. Außerdem gibt in Marokko seine Schaltung den Geist auf. Camillo macht immer weiter, repariert sein Fahrrad mit dem mitgebrachten Flickzeug. „Ich kann fast jeden Teil von meinem Fahrrad selbst reparieren“, sagt der Dresdner. “Zuhause habe ich das Fahrrad einmal vollständig zerlegt und alles wieder zusammengesetzt. Ich kenne die Bauteile.“
Am 24. August fährt Camillo durch die Westsahara. An diesem Tag sitzt er fast 15 Stunden im Sattel, radelt alleine an diesem Tag eine Strecke von rund 499 Kilometern. Große Teile der Strecke fährt er im Dunklen. In der Nacht wird er von Straßenhunden angegriffen, die sich in seinen Satteltaschen verbeißen. „Ich habe Musik gehört und das Bellen erst ganz leise gehört“, erinnert sich Camillo. „Als ich dann nach hinten geschaut habe, hing da auf einmal ein Köter an meinem Fahrrad. Ich habe ordentlich in die Pedale getreten und konnte den Hund abschütteln.“
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Zwischenfall in Mauretanien: „Da wusste ich, dass die Reise vorbei ist“
Nach gut 90 Tagen Reise kommt Camillo in Nouadhibou, seinem Zielort, an. Sein Plan ist es, mit dem Iron Ore Train durch die Wüste zu fahren, der Nouadhibou mit dem Wüstenort Zouerat verbindet. Der Zug ist bis zu 2,5 Kilometer lang und zählt damit zu den längsten Zügen der Welt. Bis zu 17.000 Tonnen schwer ist der Zug, wenn er voll beladen ist. Zur Ladung gehören vor allem Eisenerz, Wasser, Güter und Fahrzeuge. Aber auch Menschen reisen regelmäßig mit dem Zug.
Minimalistisches Gepäck: Viel Gewicht konnte Camillo auf seiner Reise nicht mitnehmen.
Quelle: privat
An manchen Tagen fährt der Dresdner stundenlang geradeaus – bei sengender Hitze, Sandstürmen oder bei Nacht.
Quelle: privat
Camillo radelt bis zum Zug, doch dann geht etwas schief: Beim Hochklettern bricht ihm die hintere Schaltung ab. „Da wusste ich, dass die Reise vorbei ist“, sagt der 18-Jährige. Denn ohne Schaltung kann er seine Reise unmöglich fortsetzen.
Am nächsten Tag kämpft sich Camillo zum Flughafen in Dakhla. Seine Schaltungen hat er ausgebaut, die Kette gekürzt. So kann er in einem Gang bis zum Ziel rollen. Doch nachdem auch noch die Kette durchdreht, muss er die weiteren 60 Kilometer schieben.
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Glücklicherweise nimmt ihn ein Lkw-Fahrer mit. Die nächsten Tage verbringt Camillo in Dakhla, zerlegt sein Fahrrad und bereitet die Rückreise nach Deutschland vor. Vom Flughafen fliegt er nach Casablanca, dann weiter nach Frankfurt am Main. Am 13. September landet er in Deutschland. „Zuhause in Dresden bin ich in mein Bett gefallen und habe gepennt wie ein Stein“, sagt Camillo.
Die nächste Reise ist schon in Planung
Camillo Hahn ist ein Freund der Zahlen, er hat penibel Buch geführt. Nach eigenen Angaben hat er über 320 Stunden im Sattel verbracht. Rund 2.810 Euro hat ihn die Reise gekostet.
Jetzt, zwei Monate später, ärgert er sich immer noch ein wenig darüber, dass er nicht mit dem Iron Ore Train fahren konnte. Doch er hat einen Plan: „In zwei bis drei Jahren werde ich wieder eine Tour nach Mauretanien unternehmen“, sagt er. „Dann kann ich es ja nochmal probieren mit dem Zug.“ Camillo überlegt außerdem, bald einen Motorrad-Führerschein zu machen. Damit könnte er seinen eigenen Streckenrekord sogar noch übertreffen.
SZ