Peter Knäbel sagt, die Schweiz habe gute Chancen

Peter Knäbel sagt, die Schweiz habe gute Chancen
Peter Knäbel sagt, die Schweiz habe gute Chancen
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Der Fussballfachmann Knäbel kennt das Innenleben des Schweizer Nationalteams. Er erklärt, was zählt mit Blick auf das Spiel gegen Italien, und weshalb er optimistisch ist, dass die Schweizer dieses gewinnen.

«Die Schweiz ist aufgrund der Leistung leicht zu favorisieren»: Peter Knäbel wagt eine Prognose für das Spiel gegen Italien.

Defodi Images / Getty

Peter Knäbel, mit den Ausscheidungsspielen beginnt für die Schweizer ein neues Turnier. Was sind wichtige Elemente in der Vorbereitung für den Samstag?

Generell gesagt, geht es zunächst einmal um die Verarbeitung von dem, was in den letzten Tagen passiert ist. Das kann mit misslungenen Aktionen zu tun haben, mit Torerfolgen, mit all den emotionalen Effekten, denen die Spieler auf und neben dem Platz ausgesetzt sind. Das müssen die Spieler und der Staff sortieren. Es ist die Voraussetzung, um die Spannung wieder aufzubauen. Nun haben sie fünf Tage Vorbereitungszeit. Das ändert den Rhythmus. Auch das ist eine Herausforderung.

In gruppendynamischer Hinsicht?

Nicht nur. Neben der körperlichen geht es vor allem um die mentale Erholung. Spieler und auch der Staff – der geht manchmal vergessen – müssen jeder für sich und gleichzeitig gemeinsam einen Weg finden, um am Samstag frisch, hungrig und befreit in den Achtelfinal zu gehen.

Das klingt einleuchtend, aber abstrakt. Sie waren an der WM 2014 in Ihrer Funktion als Technischer Direktor im Staff der Schweizer. Wie bereitete Ottmar Hitzfeld damals den Achtelfinal gegen Argentinien vor?

Der Trainer ist entscheidend. Er ist Orientierungspunkt für die Gruppe. Sein Verhalten strahlt in die Mannschaft und den Staff, alle orientieren sich an ihm. Ist er locker, angespannt? Ist er nervös, gibt er sich anders als sonst, ist er souverän? Der Trainer muss sich verhalten wie immer, aber gleichzeitig ausstrahlen, dass mit dem Achtelfinal eine neue Phase des Turniers beginnt.

Und wie haben Sie damals Hitzfeld wahrgenommen?

Er strahlte eine gute Mischung aus Lockerheit und steigender Spannung aus. Hitzfeld liess sich auch beraten vom Staff. Er liess etwa emotionale Botschaften aus der Heimat organisieren. Er hatte seine Aura, auch dank seinen grossen Erfolgen. Das wusste er genau, aber er hatte auch eine entspannte Seite. Das alles setzte er in den Tagen vor dem Match ein. Er mochte seine Mannschaft und liess sie das spüren. Das Team dankte es ihm mit dem legendären Match gegen Argentinien.

Wenn Sie «mentale Verarbeitung» ansprechen: Welche Rolle können äussere Einflüsse spielen, etwa die Medien, aber auch Privates?

Eine grosse und häufig unterschätzte. Deshalb ist von jedem grösste Achtsamkeit gefragt. Vielleicht ist das Kind zu Hause krank, ein Transfer läuft im Hintergrund, eine Schlagzeile spielt auf den Mann, wir erinnern uns an die Spiele gegen Serbien. Mit solchen Einflüssen muss die Mannschaft umgehen können.

Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Ricardo Rodriguez und Yann Sommer als Ersatzgoalie waren schon 2014 im Team. Am Samstag spielen sie den sechsten Achtelfinal. Wie wichtig kann ihre Erfahrung sein?

Wenn Sie so fragen, möchte ich zuerst so antworten: Mich berührte sehr, wie nach dem Deutschland-Match unmittelbar nach dem Schlusspfiff Ricardo Rodriguez und Granit Xhaka miteinander umgegangen sind. Xhaka schien verärgert über den späten Ausgleich, Rodriguez schien ihn wieder aufzurichten. Es war wohl nichts Weltbewegendes, was sie besprochen haben. Aber man sah, wie die beiden so unterschiedlichen Freunde miteinander umgehen. Zusammen sind sie U-17-Weltmeister geworden, fünfzehn Jahre später stehen sie gemeinsam im sechsten Achtelfinal. Eine unglaublich schöne Geschichte! Vier von fünf dieser Achtelfinals haben sie verloren. Die beiden teilen diese Erfahrung, und diese Erfahrung wirkt ins Team.

Peter Knäbel, der Experte

RAM. Der 57-jährige Peter Knäbel ist während der EM TV-Experte im Schweizer Fernsehen. Der ehemalige Bundesliga-Profi war bis Juni während sechs Jahren Verantwortlicher Sport im FC Schalke 04, davor unter anderem im Hamburger SV. Von 2009 bis 2015 war Knäbel Technischer Direktor im Schweizer Fussballverband.

Was verheisst das für den Samstag?

Ganz einfach: Sie wollen den zweiten von sechs Achtelfinals gewinnen. Sie wissen, dass es keine Blaupause gibt dafür. Aber sie wissen auch, dass ein Sieg möglich ist und wie sich der Weg dorthin anfühlen kann. Die Schweiz ist eine enorm erfahrene Turniermannschaft. Sie summierte vor der EM über 1000 absolvierte Länderspieleinsätze. Deutschlands Kader beispielsweise hat deutlich weniger. Die Erfahrung der Älteren im Schweizer Team hilft den Jüngeren, die vielleicht nervös sind, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommen kann.

Und was kommt mit Italien auf die Schweizer zu?

Im Gegensatz zu den Schweizern suchen die Italiener fussballerisch ihre Turnierform und ihre Turnier-Identität. Für welchen Fussball steht diese Squadra Azzurra? Der Schlüssel für die Schweiz wird sein, die Aggressivität der Vorrundenspiele zu erreichen und mit dem Ball weiter mutig und initiativ zu bleiben.

Lassen die drei EM-Spiele Rückschlüsse zu auf die Aussichten im Achtelfinal?

Man muss differenzieren zwischen Leistung und Resultat. Bei den Schweizern stehen ein Sieg und zwei Unentschieden auf dem Blatt, aber vor allem überzeugende Leistungen, womit die Schweiz leicht favorisiert in den Achtelfinal geht. Aber Achtung: Ab jetzt gibt es nur noch Siegen oder Verlieren. Das ist banal, bedeutet aber ein ganz anderes Mindset. Das Wichtigste ist: Die Pläne des Trainers Murat Yakin sind in den Köpfen der Spieler.

Warum? Täuschte der Eindruck von phasenweiser Planlosigkeit?

Ich sehe bei diesem Turnier eine klare Entwicklung, wie das Team spielen und auftreten will. Der Trainer und die Mannschaft haben einen roten Faden gefunden.

Was meinen Sie mit «rotem Faden»?

Die Herangehensweisen, wie die Mannschaft die drei Gegner bearbeiten will, waren in jedem Spiel zu erkennen. Es ist eine Floskel: Jedes Spiel schreibt seine eigene Geschichte. In Bezug auf die «taktische Idee» oder die Herangehensweise bedeutet das nicht, dass diese Idee im Spielverlauf immer dominiert. Es gibt einen Gegner, der seinen eigenen Plan verfolgt. Die Schweizer haben gezeigt, dass sie mehrere Register beherrschen, die sie in der Spielvorbereitung je nach Gegner und im Spiel je nach Spielphase gemeinsam anwenden.

Können Sie das erläutern?

Die Schweizer zeigten sich mental und taktisch präzise vorbereitet auf den Gegner Ungarn. Die Aufstellung mit Michel Aebischer auf der linken Seite und dem Seitenwechsel von Dan Ndoye zielte auf die Schwäche der Ungarn. Der Spielanalyst Kevin Ehmes scheint ausgezeichnete Arbeit geleistet zu haben. Die erste Halbzeit gegen die Ungarn war etwas vom Besten, das die Schweizer in den letzten Jahren gezeigt haben. Der Sieg gab ihnen Vertrauen. «Bisch parat?», fragt man in der Schweiz vor dem Match. Die Schweizer zeigten, dass sie bereit waren. Für den Match, aber auch für das Turnier.

Abgesehen von Xherdan Shaqiris Treffer war gegen Schottland wenig Erbauliches zu sehen.

Die Schotten wollten nach dem Untergang gegen die Deutschen zeigen, dass sie mit ihren Fans mehr sein wollen als Turnier-Lametta und Folklore. Das Angebot an die Schweizer war ein emotionaler und physischer Kampf auf Messers Schneide, ihr Stilmittel. Die Schweizer haben das Angebot angenommen im Wissen, dass wenig Spielerisches zugelassen wird. Gegen die Schotten hat sich das Team die Resilienz geholt für Deutschland. Aufschlussreich war auch, dass Yakin mit der Nominierung von Xherdan Shaqiri beantwortete, wie er mit Xherdan umgehen will. Dass war eine wichtige Frage vor dem Turnier. Wir kennen Xherdan, er muss zufrieden sein, damit er der Mannschaft auch neben dem Platz Energie gibt. Dass ihm ein solches Tor gelingt – unglaublich. Die ganze Welt freute sich mit ihm.

Was ist Ihnen im Spiel gegen Deutschland als wichtigste Qualität der Schweizer aufgefallen?

Sie können auch gegen einen starken Gegner in den Phasen mit Ballbesitz den Rhythmus bestimmen. Alle Spieler beteiligen sich am Offensivspiel, jeder will den Ball, keiner versteckt sich. Das ist die offensive Basis. Defensiv verschieben Manuel Akanji und Granit Xhaka den Spielerblock je nach Situation zwanzig Meter nach vorne oder wieder zurück. Die Mannschaft wusste immer, was sie im Kollektiv zu tun hat. Ein Beispiel: Als Akanji Florian Wirtz bis in die gegnerische Hälfte verfolgte, formierte sich die Abwehr sofort zur Viererkette, damit keine Lücke entsteht. Auch die Verdichtung des Zentrums gegen Jamal Musiala, Ilkay Gündogan oder Wirtz funktionierte dank den richtigen Abständen und Winkeln zueinander. Die Schweizer zeigten, dass sie eingespielt sind, einander vertrauen und ihre Erfahrung nutzen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Schweizer den Achtelfinal gewinnen.

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