Die Folgen dieses Vorfalls scheinen viel weitreichender zu sein, als sich irgendjemand hätte vorstellen können. Am 7. Oktober 1957 brach in der Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands ein Feuer im Kernkraftwerk Windscale aus, das heute in Sellafield umbenannt wurde.
Der Unfall wird auf der internationalen Nuklearereignisskala INES als Stufe 5 eingestuft (Internationale Skala für nukleare Ereignisse) im Bereich von 0 bis 7.
An den Wurzeln des Dramas
Das Windscale-Kraftwerk war das erste in Großbritannien gebaute Kernkraftwerk. Der erste der beiden Reaktoren ist für die Verarbeitung von Uran ausgelegt. Doch zum Zeitpunkt des Unglücks diente es einem anderen Zweck: Die Patronen waren mit einer Mischung aus Uran und Lithium geladen. Die „Thermoelemente“, die üblicherweise für die Temperierung des Reaktors verantwortlich sind, befanden sich in einer nicht an diese Konfiguration angepassten Anordnung.
Am 7. Oktober bemerkten die Betreiber, dass sich der Reaktor ungewöhnlich erwärmte. Es kommt zu starken Energiestößen, die eine Entzündung des Graphits zur Folge haben können. In der Physik ist dies der Wigner-Effekt. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, beschließen die Bediener dann, einen Glühzyklus einzuleiten. Doch wider Erwarten kühlt sich der Reaktor ab, anstatt sich zu erwärmen. Am nächsten Tag wird die Operation wiederholt und dieses Mal kommt es zu einer allgemeinen Aufwärmphase.
Drei Tage später stellten die Betreiber fest, dass sich der Reaktor weiter aufheizte, und beschlossen, die Ventilatoren zu beschleunigen, um ihn abzukühlen. Ein gigantischer Fehler, denn ohne es zu wissen, hatten sie gerade die Flamme angefacht, die den Brand verursacht hatte. Die Hitze im Reaktor war nicht, wie angenommen, auf eine Entladung zurückzuführen, sondern auf eine Patrone, die sich nach dem Knacken entzündet hatte. Das Blasen der Ventilatoren verstärkte das Phänomen nur. Das Feuer breitete sich auf die anderen Patronen aus, ohne dass die Bediener es stoppen konnten.
Katastrophale Folgen
Am nächsten Tag wurde die Temperatur auf fast 1.300 Grad geschätzt. 11 Tonnen Treibstoff standen in Flammen. Eine Lösung bot sich an: das Feuer mit Wasser löschen. Eine riskante Technik, da sie bei Uran normalerweise nicht empfohlen wird. Das hat nicht funktioniert. Erst als Ingenieur Tom Tuohy die Anweisung gab, die Ventilatoren auszuschalten, ließ das Feuer nach. Obwohl der Reaktor versiegelt war, setzte das Feuer eine radioaktive Wolke aus Jod-131 frei, die sich über ganz England ausbreitete. Die Bevölkerung wurde weder evakuiert noch vor diesem Vorfall gewarnt.
Eines beschäftigte die Gesundheitsbehörden noch: die Milch, die in der Umgebung kontaminiert sein könnte. In den 500 km2 rund um das Werk wurde über mehrere Monate hinweg die gesamte produzierte Milch gesammelt und in die Nordsee geworfen.
Trotz dieser Maßnahmen hatte der Windscale-Brand schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Von den 238 untersuchten Personen waren 128 auf Schilddrüsenebene kontaminiert. Auch Mitarbeiter des Werks waren kontaminiert.
Mehr als 25 Jahre später ergab eine journalistische Untersuchung eine besonders hohe Krebsrate bei Kindern im nahegelegenen Dorf Seascale. Im Jahr 2007 ging eine Schätzung davon aus, dass das Windschuppenfeuer 240 Krebsfälle verursachte.