Crack und Kokain nehmen in der Schweiz explosionsartig zu, und das ist verständlich

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Im Arud Addiction Treatment Center erhalten Patienten medizinisches Methadon oder Heroin. Für Kokain hingegen gibt es keine solche Alternative.Bild: KEYSTONE

Der Kokainkonsum hat in der Schweiz deutlich zugenommen und Crack ist im öffentlichen Raum immer präsenter. Sollte ein regulierter Vertrieb etabliert werden? Die Antwort von Philip Bruggmann, Suchtforscher.

Herr Doktor Bruggmann, Sie sind Chefarzt im Suchtbehandlungszentrum Arud. Seit mehreren Monaten sprechen die Medien von einem landesweiten Anstieg des Kokainkonsums. Wie gefährlich ist diese Praxis?
Philip Bruggmann: Dabei sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Einerseits ist Kokainkonsum körperlich schädlich, andererseits birgt er ein Suchtrisiko. Die körperlichen Folgen sind besonders wichtig, wenn Sie in der Vergangenheit geraucht haben oder älter sind. Auch die Menge spielt eine Rolle – je mehr Kokain man auf einmal nimmt, desto höher ist das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts.

Philip Bruggmann.

Philip Bruggmann.Image: zvg

Porträt

Philip Bruggmann ist auf Allgemeine Innere Medizin spezialisiert. Er hat sich eingehend mit den körperlichen Folgen der Sucht und ihrer Behandlung beschäftigt. Er arbeitet als Co-Chefarzt des Suchtbehandlungszentrums Arud, einer der führenden Institutionen der Schweiz, die rund 130 Mitarbeiter beschäftigt. Diese behandeln rund 6000 Patienten. Einige haben sich eigenständig für eine Therapie entschieden. Andere wurden mit deren Einverständnis von spezialisierten Diensten, Institutionen oder Hausärzten geschickt.

Die Medien sprechen von einer Normalisierung des Kokainkonsums. Ist das wirklich so?
Ja, Kokain hat sich in den letzten Jahren stark verbreitet. Es wird zunehmend in festlichem Rahmen konsumiert, manchmal auch mit Alkohol. Tatsächlich hebt Kokain die betäubende Wirkung von Alkohol auf und ermöglicht es Ihnen, weiterhin Spaß zu haben. Ich beobachte auch ein Wiederaufleben von Crack-Kokain. Doch davon ist eine andere soziale Schicht betroffen.

Im Mittelmeer vor der Küste Italiens treiben Kokainpakete.Bild: Finanzpolizei

Angesichts der Situation hat das OFSP bereits zwei Runde Tische einberufen. Wie unterscheidet sich Crack von Kokain?
Crack ist eine Mischform aus Kokainsalz und Backpulver. Es wirkt viel schneller, aber auch viel kürzer. Dadurch müssen wir immer wieder auffüllen und die Dosierung erhöht sich.

„Dann geraten wir in eine höllische Spirale“

Die negativen Folgen sind vielfältig: physisch, psychisch und auch sozial. Aus diesem Grund bemerken wir, dass Menschen, die schneller von Crack abhängig werden, im Vergleich zu Kokainsüchtigen. Denn schnell landen sie auf der Straße, wo sie weiter konsumieren. Wer hingegen Kokain konsumiert, tut dies im privaten Rahmen: auf Partys, zu Hause oder am Arbeitsplatz.

Welche Auswirkungen hat Crack im Alltag?
Da sie sehr schnell verschwinden, müssen immer wieder steigende Dosen eingenommen werden. Verbraucher können aggressiv und unruhig werden, was zu belastenden Situationen im öffentlichen Raum führen kann.

Crack ist eine Mischform von Kokain, die geraucht wird. (Vorwandfoto)

Crack ist eine Mischform von Kokain, die geraucht wird. (Vorwandfoto)Bild: Shutterstock

Was halten Sie von der regulierten Verteilung von Kokain?
Dies ist eine Maßnahme, die geprüft werden muss. Im Bereich Kokain gibt es während der Heroinkrise der 1980er und 1990er Jahre keine mit Methadon vergleichbare Droge, die zuverlässig und sicher vor körperlichen und sozialen Schäden schützt. Damals wurde Methadon oder medizinisches Heroin verschrieben. So konnten wir diese Krise in den Griff bekommen. Das ist es, was wir heute brauchen.

„Leider entstehen Lösungen immer nach einer problematischen Situation“

Philip Bruggmann

Fachleute fordern seit langem Studien zur Verschreibung von Kokain, doch erst jetzt, wo die breite Öffentlichkeit versteht, dass etwas nicht stimmt, kommt Bewegung in die Sache.

Sie ziehen eine Parallele zur größten Drogenkrise, die dieses Land je erlebt hat. Die Menschen meiner Generation haben das nicht erlebt. So prekär ist die aktuelle Lage doch nicht, oder?
Nein, es ist nicht vergleichbar mit der Platzspitz-Ära, als der Konsum intravenös und vor dem Hintergrund der HIV-Krise erfolgte. Damals gab es viele Todesfälle. Auch der Konsum im öffentlichen Raum war enorm. Heute sind wir weit davon entfernt. Trotz allem ist die Suchtpolitik seit Jahren sehr still und dieses Thema ist wieder aktuell, weshalb es jetzt notwendig ist, Anpassungen vorzunehmen und die Risiken zu reduzieren.

In den 1980er Jahren gab es in Zürich eine offene Drogenszene.Bild: KEYSTONE

Sie selbst geben zu: Die Drogenpolitik in der Schweiz hat sich seit langem kaum verändert. Warum erleben wir also ein Wiederaufleben?
Kokain hat sich in den letzten fünfzehn Jahren zu einer sehr beliebten Substanz entwickelt. Dies liegt daran, dass immer mehr davon importiert wird, und weil es günstig und damit für die breite Öffentlichkeit zugänglicher ist. Darüber hinaus handelt es sich um einen für illegal erklärten Stoff, dessen Regulierung dem Untergrundmarkt überlassen bleibt – wir haben daher kaum Einfluss darauf. Es muss aber auch betont werden, dass nicht alle Menschen, die Kokain konsumieren, zwangsläufig süchtig werden, ganz im Gegenteil.

Werfen wir abschließend noch einen Blick ins Ausland. Drogen haben in den Vereinigten Staaten noch nie so viele Menschen getötet wie heute. Opioide wie Fentanyl sind dort eine echte Plage. Warum hat es sich hier noch nicht ausgebreitet?
Amerikanische Trends kommen hier mit einer Verzögerung von rund zehn Jahren an. Im Gegensatz zu den USA haben wir in der Schweiz schon lange kein Crack-Problem mehr.

„Wir wissen nicht, ob hier auch synthetische Opioide wie Fentanyl vermarktet werden“

Philip Bruggmann

Sicher ist, dass diese Substanzen sehr stark sind und lebensbedrohlich sein können: für Menschen, die sie noch nie zuvor konsumiert haben, aber auch für diejenigen, die bereits mit Opioiden behandelt werden. Deshalb bereiten wir uns auf eine mögliche Welle synthetischer Opioide in der Schweiz vor – wir wollen mit allen Mitteln verhindern, dass diese Substanzen auch in unserem Land Menschen töten. Und dank der schweizerischen Versorgungsqualität im Suchtbereich würden die Auswirkungen einer möglichen Welle nie das Ausmaß erreichen wie in Nordamerika.

(Übersetzt von Valentine Zenker)

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