„Ootlin“ von Jenni Fagan: Crossing the Darkness

„Ootlin“ von Jenni Fagan: Crossing the Darkness
„Ootlin“ von Jenni Fagan: Crossing the Darkness
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Ootlin ist eine autobiografische Geschichte eines misshandelten Kindes und vor allem ein großartiges Buch, das die Möglichkeit der Erlösung in Frage stellt.

„Wie weit kann man gehen, bevor das Herz stehen bleibt?“ Mit OotlinJenni Fagan ist ein von ihrer Jugend im Sozialwesen inspirierter Text und geht dieser tragischen Frage ohne mit der Wimper zu zucken nach. Jenni wurde als Tochter einer psychiatrisch kranken Mutter geboren und sofort in Obhut genommen. Sie geht von missbräuchlichen Familien in Häuser, die diesen Namen bei weitem nicht verdienen, und trifft auf ihrem Weg auf verschiedene Inkarnationen des Bösen und der Gewalt, einschließlich krimineller institutioneller Gleichgültigkeit. „Ich lerne, meinen Körper zu verlassen“, schreibt die Autorin nüchtern. In vielerlei Hinsicht Ootlin ist ein schreckliches, oft verstörendes Buch. Was hier gesagt wird, ist unerträglich; es bleibt hier und jetzt unerträglich relevant. Um es zu schreiben, vertiefte sich die Romanautorin in die umfangreichen Akten des Sozialamts, die sie betreffen. Allerdings haben wir es hier nicht mit einem einfachen Zeugnis zu tun, sondern mit dem Kernstück eines wichtigen Werkes, das zu seiner eigenen Entstehungsgeschichte zurückkehrt. Ohne jemals die absolute Brutalität der Tatsachen zu verraten, ist die Evokation hier kraftvoll sinnlich, einfühlsam und lässt manchmal Raum für Momente poetischer Anmut.

Unser besonderer Dank gilt Jenni Fagan Die Trinker des Lichts (Transfuge-Preis für den besten englischsprachigen Roman) und Die Tochter des Teufels. Die Reise durch die Dunkelheit verfolgt sein Werk. Eine erste Version vonOotlin war vor einem geplanten Selbstmord geschrieben worden – wie ein langer Abschiedsbrief. Jenni Fagan griff diesen Text zwanzig Jahre später auf, um ihm eine neue Form zu geben. Es ist in der Tat das Werk einer Autorin auf dem Höhepunkt ihrer Reife, die in der Lage ist, die Vergangenheit ebenso schonungslos präzise wie universell zum Thema eines Buches zu machen. Es gibt nur wenige Bücher, die sowohl inhaltlich als auch formal derart Bewunderung hervorrufen. Trotz der Dunkelheit ist es ein leuchtendes Buch. Es ist die Möglichkeit der Erlösung, die hier ständig erforscht wird. Das von allen verlassene Kind entdeckt die Freude am heimlichen Schreiben von Gedichten. Jenni Fagan spürt den Wurzeln ihrer Liebe zu Worten nach; eine Liebe, die umso glühender und absoluter ist, weil sie eine Lebensader ist. „Worte sind wirklich magisch. Sie bringen mich an den einzigen Ort, an dem ich das Gefühl habe, dazuzugehören, ohne dass ich mich dafür entschuldigen muss.“ Manchmal denken wir darüber nach Ein Engel an meinem TischJanet Frames Buch ist wie der Film, den Jane Campion daraus gemacht hat, eine weitere Geschichte der Erlösung durch Schreiben. Letzteres ist nicht nur eine Möglichkeit, der Gegenwart zu entfliehen, sondern auch die Rückeroberung der eigenen Geschichte. Worte sind eine Waffe, die umso mächtiger ist, weil sie zuerst gegen sie eingesetzt wurden, um ihr zu sagen, dass sie wertlos ist. „Es ist eine Geschichte darüber, wie einige Geschichten mich gerettet haben und andere mich zerstört haben.“ Ootlin ist eine düstere Geschichte, eine von denen, von denen Jenni Fagan sagt, dass sie ihr als Kind eine moralische Lektion erteilte. Wir verfolgen das Schicksal eines Kindes, das mit dem Schlimmsten unter Gleichaltrigen konfrontiert wird und dennoch niemals auf seinen eigenen Teil der Menschlichkeit verzichtet. Blendend.

OotlinJenni Fagan, übersetzt aus dem Englischen (Schottland) von Céline Schwaller, Métailié, 23 €

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