«Alter weisser Mann» im Kino –
Kampfansage, Klischee und Knalltüte zugleich
Der neue Film mit Jan Josef Liefers nimmt einem mit auf einen komödiantischen Wokeness-Parcours voller Fettnäpfchen. Merke: Als «Alter weisser Mann» fühlt man sich nie selbst.
Josef Grübl
Publiziert heute um 10:11 Uhr
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- Simon Verhoeven präsentiert mit «Alter weisser Mann» eine Gesellschaftskomödie.
- Jan Josef Liefers spielt einen nervösen Durchschnittsmann in einer Kulturkampf-Satire.
- Der Film behandelt Themen wie Shitstorms, Rassismus und toxische Männlichkeit.
- Er bleibt dabei liebenswert, trotz Fettnäpfchen und ständiger Verwirrung.
Frage für einen Freund: Ab wann ist man ein alter weisser Mann? Wenn die Haare auf dem Kopf weniger und am Rücken mehr werden? Wenn Rassismus- oder Feminismus-Debatten an einem vorbeigehen und man Mansplaining für eine Sportart hält? Oder wenn einen niemand mehr versteht?
Als mittelalter weisser Mann ist man von diesem allseits gefürchteten Zustand natürlich meilenweit entfernt – redet man selbst sich zumindest ein. Aber Altersfragen lassen sich heute ohnehin nicht mehr mit der Anzahl von Lebensjahren beantworten. Nein, alte weisse Männer sind selbstverständlich die anderen: diejenigen, die den Anschluss verpasst haben, die weder politisch korrekt noch woke sind und nicht einmal richtig gendern können. Männer wie Heinz Hellmich also.
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Der Mittfünfziger im Cordanzug arbeitet im mittleren Management eines mittelgrossen Unternehmens, lebt mit Frau und Kindern im Einfamilienhaus samt Solaranlage auf dem Dach, die Nachbarskinder grüssen ihn. So weit, so durchschnittlich: Als eine Unternehmensberaterin in seiner Firma aufschlägt und diese in Sachen Debattenkultur, Diversität und Digitalität umbauen will, wird Heinz nervös. Als seine Frau eigene Pläne hat und seine Probleme weglächelt, geht er in Therapie. Und als er bei einem Berlin-Trip genderqueere Personen und bewusstseinserweiternde Substanzen kennenlernt, dreht er völlig durch.
Der Held darf stolpern und scheitern, aber er bleibt liebenswert
Jan Josef Liefers spielt diesen deutschen Durchschnittsmann, der Angst hat vor Shitstorms, Jobverlust und kultureller Aneignung, vor verstecktem Rassismus und den nicht so gut versteckten «I Love My Penis»-Tassen im Schrank. Damit dürfte sich ein grosser Teil des Publikums identifizieren. Und auch jene, die finden, dass man heutzutage nichts mehr sagen dürfe; und wie schwierig alles geworden sei in Zeiten von Klima, Krieg und Viren. Diese Leute sind genauso verwirrt wie Heinz im Kino: Sie werden ihn verstehen und lachen, wenn er von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert. Denn es fühlt sich alles so real an: Was diesem armen Kerl passiert, könnte einem ganz genauso widerfahren.
Nach seinem Milli-Vanilli-Film «Girl You Know It’s True» hat Simon Verhoeven diese Geschichte eines Kulturkampfes geschrieben und inszeniert. Was auch eine Satire oder gar Groteske hergeben würde, eine Abrechnung mit toxischer Männlichkeit, erzählt er sehr viel milder. Sein Held mag Kampfansage, Klischee und Knalltüte zugleich sein – er darf stolpern und scheitern, bleibt dabei aber stets liebenswert. «Alter weisser Mann» ist eine Gesellschaftskomödie, die es gut meint mit ihren Figuren, die ihrem Helden beisteht und ihn nicht verrät. Verhoeven zeigt Verständnis für seine Verunsicherung: Das macht den Film sympathisch, aber auch etwas zu glatt und gefällig.
Nebenbei behandelt er ein ureigenes Problem von Komödienmachern: Womit erzeugt man noch heftige Lacher, womit aber eher einen Backlash? Die Humorfront gilt als vermintes Gebiet; Szenen oder Sketche, die vor einigen Jahren noch als saukomisch galten, als echte Brüller oder Schenkelklopfer, werden heute erst gar nicht mehr gemacht. Witze über Andersdenkende, anders Aussehende oder anders Liebende? Schwierig. Gags über Männer, die nicht zuhören, oder Frauen, die nicht einparken können? Macht in Zeiten von Gleichstellungsdebatten auch keiner mehr. Und Ironie will heute sowieso niemand mehr verstehen.
Um seinen Job und seine Reputation zu retten, lädt Heinz Hellmich zu einem Abendessen im Familienkreis. Das ist der komödiantische Höhepunkt des Films, dann sitzen endlich alle gemeinsam am Tisch und reden miteinander: Heinz’ Chef, seine Therapeutin, seine Frau, die Kinder, ein Aussenstehender oder die Unternehmensberaterin. Auch Heinz’ Vater ist mit von der Partie – und wer ihm zuhört, fragt sich: Wer ist hier der alte weisse Mann?
«Alter weisser Mann» von Simon Verhoeven. Im Kino.
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